Der Sklave von Midkemia
bringen würde. Die Miene des neuen Kommandeurs zeigte nicht das leiseste Anzeichen seines sonst so typischen Humors – für Kevin ein Hinweis, sich ebenfalls zurückzuhalten. Er war nicht mehr der dreiste Kriegsgefangene, der er zu Beginn seiner Gefangenschaft gewesen war, sondern hatte endlich gelernt, sich still zu verhalten, wenn die Situation es erforderte. Und wie ungeheuer mächtig der Lord der Xacatecas war, ließ sich schon an Maras tiefer Verbeugung ablesen, die sie ausführte, sobald sie den steinernen Kai betreten hatte. Wie ein König thronte der Mann in einer gelben Rüstung mit schimmernden goldenen Armbändern an den Handgelenken in seiner Sänfte.
Der Lord der Xacatecas neigte den Kopf, erhob sich und erwiderte höflich Maras Verbeugung. Er war ein älterer Mann, wirkte jedoch keineswegs verlebt. Haselnußbraune, von einem Netz von Fältchen umgebene Augen blickten schlau aus einem sonnenverbrannten Gesicht. Seine Kleidung zeugte von erlesenem Geschmack, war aber nicht überladen, und als er lächelte, bildeten sich in seinen Mundwinkeln tiefe Falten, die auf einen Hang zur Ironie hinwiesen.
»Geht es Euch gut, Lady Mara?«
Seine Stimme war schroff, aber dennoch wohlklingend. Mara blickte zu ihm auf und begann ebenfalls zu lächeln. »Ihr erweist mir zuviel der Ehre, Mylord«, meinte sie voller Respekt. Auch ihr Tonfall ließ erkennen, daß dieser Mann einen höheren gesellschaftlichen Rang besaß; dennoch hatte er nicht darauf bestanden, daß Mara zuerst sprach. Ein Lord entbot von sich aus einer Lady einen freundschaftlichen Gruß und bewies ihr damit in aller Öffentlichkeit sein Wohlwollen. »Es geht mir gut«, fuhr Mara fort, und ihre Haltung verriet dabei nichts von ihrer Anspannung. »Und ich fühle mich geschmeichelt, Euch hier zu treffen, Lord Chipino. Ich hoffe, es geht Euch auch gut?«
»In der Tat, mir geht es sehr gut.« Lord Chipinos Erwiderung troff vor Sarkasmus. Er warf sein eisengraues Haar zurück und lachte. Kevin konnte nicht sehen, warum, aber er vermutete, daß der Lord auf eine kaum wahrnehmbare Geste Maras reagiert hatte. Dann bot er ihr seinen Arm und führte sie zu seiner Sänfte. »Lord Desio – mögen er und seine Cousins ihr Leben aushauchen – wird diesen Tag noch bedauern.« Mara murmelte eine Antwort, und wieder lachte der Lord laut auf und warf ihr einen anerkennenden Blick zu. Mit einer eleganten Bewegung bot er ihr einen Platz in seiner Sänfte an, eine wohlüberlegte höfliche Geste, da niemand mit seinem persönlichen Erscheinen gerechnet hatte und Maras Bedienstete noch keine Zeit gefunden hatten, ihre eigene vorzubereiten. Die Soldaten setzten sich in Bewegung, ihre Formation ein kühnes Muster aus Purpur und Gelb und Grün.
»Wenn ich jünger wäre«, sagte der Lord mit seiner rauhen Stimme, »wäre ich fast gewillt, dem jungen Hokanu ein bißchen Konkurrenz zu machen.«
Sieh an, dachte Kevin mit einem leichten Stich von Eifersucht, zumindest ist der Lord der Xacatecas mehr als nur ein bißchen angetan von der Lady, die sich mit ihm verbünden will.
»Dafür würde Eure Frau, die schöne Lady der Xacatecas, mich vergiften lassen«, gab Mara sanft zu bedenken. »Geht es Isasham gut?«
»Ja, danke, es geht ihr gut, und sie wird meine Abwesenheit nicht übermäßig bedauern, da es ihr dadurch erspart bleibt, erneut schwanger zu werden.« Lord Chipino gab den Sänftenträgern eine neue Anweisung. »Hier hinüber.« Der Trupp überquerte eine enge Kreuzung und trat in den Schatten des Vordachs eines zur Straße hin offenen Wirtshauses.
An der ganzen Rückseite des Raums zog sich eine Theke mit Erfrischungen entlang, während die Seitenwände aus einem offenen Holzgerüst bestanden. Suppen, Pasteten und verschiedene Sorten eines heimischen Kräutergetränks namens Tesh sowie die übliche Chocha wurden hier verkauft. Die Bänke und Tische leerten sich, als die gewöhnlicheren Herren eilig davonhuschten, um für die ranghöheren Platz zu machen. Eine Horde Diener in Kitteln trat herbei und räumte das alte Geschirr weg, bevor neues aufgetragen wurde. Chipino führte Mara an ihren Platz, dann setzte er sich selbst an den Kopf des Tisches, stützte die Ellenbogen auf die sandigen Bretter und lehnte das Kinn leicht gegen die ausgestreckten Finger. Er betrachtete das Mädchen, das es geschafft hatte, Lord Jingu von den Minwanabi in seinem eigenen Haus zu besiegen, und das durch ihre ungewöhnliche Gewandtheit im Spiel Berühmtheit erlangt hatte. Um ihn herum
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