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Der Sklave von Midkemia

Der Sklave von Midkemia

Titel: Der Sklave von Midkemia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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den Mann mit einem rituellen Griff bei den Schultern und führten ihn zu dem Loch, das ihnen am nächsten war. Der Mann schloß die Augen und sprang schweigend in das tiefe, breite Loch hinab.
    Danach wiederholte sich das Ganze mit einem anderen Mann, dessen Frau ihr Gesicht in höchst unschicklicher Weise verbarg. Als auch das zweite Loch besetzt war, gab der Priester einen gequälten Schrei von sich. Dann setzte er zu einem Sprechgesang an: »O Turakamu, der du schließlich über alle Menschen urteilst, nimm diese beiden wertvollen Seelen in deinen Dienst. Sie werden ewig über dieses dein Monument wachen. Schau voller Wohlwollen auf ihre Familien, und wenn ihre Kinder deine Halle entlangschreiten, urteile gütig über sie, und schicke sie mit deinem Segen ins Leben zurück.«
    Incomo verfolgte das beginnende Ritual mit wachsendem Unbehagen. Menschliche Opfer waren selten im Kaiserreich, doch wenn sie auch generell nicht länger üblich waren, so wurden sie noch immer im Tempel des Roten Gottes praktiziert. Offensichtlich hatten diese beiden Arbeiter darum gebeten, die Opfer für das Gebetstor sein zu dürfen, als Gegenleistung für die Hoffnung, daß ihre Kinder im nächsten Leben in einem höheren Rang wiedergeboren werden würden: als Krieger oder sogar Herrschende. Incomo hielt dies bestenfalls für einen schwachen Handel. Wenn ein Mann fromm genug war, sollten die Götter ihm dann nicht ohnehin mit Wohlgefallen begegnen, wie die Tempelaphorismen besagten?
    Doch nur ein Narr würde sich gegen eine Gabe für den Roten Gott aussprechen. Incomo sah mit steinerner Ruhe zu, als die Männer ihren Platz in den Löchern einnahmen, die Knie unter dem Kinn und die Hände in der Andeutung des ewigen Gebetes gekreuzt. Die Priester schickten mit gellender Stimme einen Lobgesang an ihren göttlichen Herrn, dann bedeuteten sie den Arbeitern, die massiven Baumstämme hochzuhieven, die den Bogen des Tores tragen würden. Die Seile quietschten unter dem Druck, als die Arbeiter den ersten aufrecht hinstellten; sie sangen und schwangen den Stamm hin und her, und als sie das Ende in Position brachten, glitt sein Schatten wie eine Sense über das Loch. Förmlich erstarrt vor Spannung, warteten die Minwanabi-Anhänger auf den entscheidenden Augenblick. Der leicht schielende Vorarbeiter beurteilte die Position des Stammes als korrekt und gab dem Oberpriester ein Zeichen, woraufhin der die Knochenflöte an die Lippen setzte und eine bebende Melodie blies, die den Gott herbeirufen sollte.
    Der Klang verhallte, und ein Raunen ging durch die versammelte Menge, als zwei geringere Priester eine heilige Axt aus glänzendem Obsidian hoben und die Seile durchtrennten. Der mit Schnitzereien verzierte Stamm krachte nach unten in das gähnende Loch, wo er den ersten Diener wie ein Insekt zermalmte. Blut spritzte in die Höhe; das schluchzende Mädchen riß sich von der Mutter los und warf sich gegen den Stamm, der ihren Vater erschlagen hatte. »Holt ihn zurück! Holt ihn zurück!« schrie sie unaufhörlich, während Soldaten sie wegzerrten.
    Incomo wußte, daß der Rote Priester dies als einen unheilverheißenden Beginn werten würde. In dem Versuch, seinen Gott zu beschwichtigen, entschied sich der Priester, nicht mit dem Opferritual der ersten Stufe fortzufahren, sondern eines der zweiten Stufe daraus zu machen. Er klickte mit den Fingernägeln gegen die knöcherne Klapper, und die Akolythen legten ihre Zeremonienmasken an. Der zweite Mann wurde aus dem Loch gezogen; Verwirrung spiegelte sich deutlich in seinem Blick. Er hatte erwartet, genau wie sein Vorgänger zu enden, doch anscheinend hatte man etwas anderes mit ihm vor.
    Der erste maskierte Akolyth trat mit einer Schüssel und einem Messer aus Obsidian vor. Er sagte kein Wort, doch auf ein Zeichen des Oberpriesters ergriffen einige Helfer den Mann und hielten ihn mit ausgebreiteten Armen und Beinen über die Schüssel. Der Akolyth hob sein Messer, begann zu singen und bat den Gott um seinen Segen. Er drückte die Klinge zuerst gegen die eine Schläfe des Mannes, dann gegen die andere, um das Opfer zu weihen. Der unglückselige Bauer zitterte unter der Berührung des Steinmessers; er zuckte zusammen, als die scharfe Spitze ein Symbol in seine Stirn ritzte, und bemühte sich, die Prozedur ohne Aufschrei zu ertragen, als der Priester die Blutgefäße seines rechten Handgelenks auftrennte.
    Blut spritzte in den Staub wie obszöner Regen. Die Akolythen wurden bespritzt, als sie herbeieilten,

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