Der Sklave von Midkemia
dem Anblick Maras nährte, wie sie mit ihrer Gefolgschaft über den See davongefahren war. Dutzende anderer Lords waren mit ihr gegangen, und ihre farbenfrohen Boote hatten so eng aneinander gehangen wie bunt gefiederte Wasservögel während ihrer Paarungszeit. Auch die weiß-goldene Barke des Kriegsherrn war in der Flottille gewesen. Almecho hatte seine Geburtstagsfeier von Jingus Herrenhaus auf die Güter der Acoma verlegt; kein anderes Zeichen konnte so deutlich beweisen, daß die Minwanabi seine Gunst verloren hatten.
In diesem Augenblick legte sich ein Schatten über Incomos Gesicht und verdrängte seine Erinnerungen. Ein geschmeidiger, graziöser Krieger stieg auf das Podest, um vor den Füßen des neuen Lords niederzuknien. Tasaio, der Sohn von Jingus verstorbenem Bruder, verneigte sich tief vor seinem rechtmäßigen Herrscher. Seine rotbraunen Haare waren nach Art der Krieger kurz geschnitten. Seine Nase erinnerte im Profil leicht an einen Adler, und seine Haltung war von tadelloser Korrektheit. Die Hände trugen Narben aus vergangenen Kämpfen, behielten aber die Schönheit jener Kraft, die bei ihm beinahe bis zur Perfektion geschärft war. Er war das Abbild des ergebenen Kriegers, der geschworen hatte, seinem Herrn zu dienen – und dennoch konnte er die brennende Intensität in seinen Augen nicht verbergen. Er lächelte seinem Cousin zu und legte seinen Eid ab. »Mylord, ich schwöre hiermit bei den Geistern unserer gemeinsamen Ahnen, die bis zum Anfang aller Zeiten zurückreichen, sowie bei dem Natami, in dem der Geist der Minwanabi ruht: Ich schwöre Euch die Treue und Ehre in allen Dingen. Mein Leben und mein Tod gehören Euch.«
Desios Gesicht erstrahlte, als der Mann, der seiner Herrschaft am ehesten gefährlich werden konnte, die traditionelle Verbeugung ausführte. Incomo wischte den nutzlosen Wunsch, daß die Rollen der beiden Cousins vertauscht wären, beiseite; doch hätte Desio jetzt vor Tasaio niederknien müssen, hätten die Acoma bereits vor Angst gebebt. Statt dessen hatte der schlauere und stärkere Mann sein Schicksal unwiderruflich an das des schwächeren gebunden. Incomo ballte unbewußt die Hände zu Fäusten, bis sich die Fingernägel in die Handflächen gruben.
Seit jener Nacht, da das Glück sich von den Minwanabi abgewandt hatte, nagte das Desaster an ihm. Während Tasaio aufstand und vom Podest zurücktrat, kam dem Ersten Berater ein anderer Gedanke in den Sinn. Mara war es gelungen, den Plan zu entdecken, der ihr Leben hätte beenden sollen – nein, verbesserte Incomo sich, natürlich hatte sie den Angriff erwartet, doch irgendwie hatte sie den Augenblick erspürt und auch die Art des Schlages. Mit Glück allein war dies nicht zu erklären. Ein reiner Zufall war hier so gut wie ausgeschlossen. Der Verrückte Gott des Zufalls hätte der Lady schon direkt ins Ohr flüstern müssen, damit sie hätte erraten können, was Jingu und seine spionierende Kurtisane ersonnen hatten.
Die letzten Verbündeten der Minwanabi schritten vorbei und gaben ihre Freundschaftsbekundungen ab. Der Erste Berater betrachtete jedes dieser ausdruckslosen Gesichter und kam zu dem Schluß, daß ihre Versprechen so brauchbar waren wie Waffen aus gesponnenem Zuckerrohr. Beim ersten Anzeichen der Verwundbarkeit der Minwanabi würde jeder der hier anwesenden Lords nach neuen Verbündeten suchen. Selbst Bruli von den Kehotara hatte den Schwur nicht erneuern wollen, mit dem bereits sein Vater sich als absoluter Vasall an Jingu gebunden hatte, und so berechtigte Zweifel an seiner Zuverlässigkeit aufkommen lassen. Desio hatte kaum seinen Ekel verbergen können, als Bruli Freundschaft gelobt hatte und dann gegangen war.
Incomo lächelte mechanisch jedem vorbeischreitenden Edlen zu, während er sich seinen eigenen Sorgen widmete. Wieder und wieder ließ er die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit vor seinem geistigen Auge passieren, bis die Logik ihm endlich die ersehnte Antwort bescherte. Die Schlußfolgerung war schockierend und nahezu undenkbar: Die Acoma mußten einen Spion im Haushalt der Minwanabi haben! Jingus Plan war sorgfältig gewesen und hätte ohne die Weitergabe geheimer Informationen niemals nach draußen dringen können. Incomos Puls raste, als er an all das dachte, was mit dieser Erkenntnis verbunden war.
Im Spiel des Rates gab es keine Ruhepause. Immer mußte man mit Versuchen der Gegner rechnen, in das eigene Haus einzudringen. Auch Incomo hatte einige Spione in guten Positionen anderer
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