Der Sklave von Midkemia
Der Mann war zu gut, zu raffiniert und zu ehrgeizig, um ein kleiner Spieler in den Reihen ihrer Feinde zu bleiben. An Desios Stelle hätte sie den gesamten Konflikt mit den Acoma in Tasaios Hände gelegt.
»Was von dem, was du gesehen hast, hat dich am meisten erstaunt?« wollte Kevin von Ayaki wissen. Die beiden waren sofort Freunde geworden, von dem Morgen an, da Ayaki versucht hatte, dem riesigen Barbaren das richtige Schnüren der tsuranischen Sandalen beizubringen, ohne es selbst zu beherrschen. Kevin hatte den Jungen sofort für sich gewonnen, was ihm einen zusätzlichen Schutz gegen Maras Wut bescherte, die noch von seiner Gewalttätigkeit herrührte. Als sie Kevin näher kennenlernte, entwickelte auch sie so etwas wie Sympathie für ihn, trotz seines schamlosen Verhaltens und des totalen Mangels an gesellschaftlichem Benehmen.
»Der komische Geruch!« rief Ayaki, für den Begeisterung gleichbedeutend mit Lautstärke war.
»Du kannst einen Geruch nicht sehen«, meinte Kevin. »Auch wenn ich zugeben muß, daß es in dem Cho-ja-Loch stank wie in der Scheune einer Gewürzmühle.«
»Wieso?« Ayaki trommelte wie zur Betonung mit seinen rundlichen Fäusten auf Kevins Kopf. »Wieso?«
Kevin packte die Knöchel des Jungen und ließ ihn in einem Purzelbaum von seinen Schultern rollen. »Ich nehme an, weil sie Insekten sind – Käfer.«
Ayaki, der kopfüber nach unten hing und allmählich rot wurde vor Vergnügen, meinte: »Käfer reden nicht. Sie beißen. Die Amme schlägt sie.« Er machte eine Pause, ließ seine Hände herabbaumeln und verdrehte die Augen. »Mich schlägt sie auch.«
»Weil du zuviel redest«, vermutete Kevin. »Und die Cho-ja sind intelligent und stark. Wenn du einen von ihnen schlägst, wird er dich zermalmen.«
Ayaki protestierte brüllend und behauptete, daß er jeden Cho-ja erschlagen würde, bevor der ihn zermalmen könnten. Dann quietschte er wieder, als der Barbar ihn herumschleuderte und aufrecht in die Arme der mißbilligend dreinschauenden Amme entließ. Die Gruppe hatte das Herrenhaus erreicht. Die Träger gingen in die Hocke, um Maras Sänfte herunterzulassen, und die Soldaten, die sie auch bei den kleinsten Unternehmungen begleiteten, standen ordentlich aufgereiht daneben und warteten auf weitere Befehle. Lujan erschien und half der Lady aus der Sänfte, während Jican im Türrahmen stand und sich tief verneigte. »Arakasi wartet mit Keyoke in Eurem Arbeitszimmer, Mylady.«
Mara nickte abwesend, hauptsächlich, weil Ayakis nur langsam sich entfernendes Geschrei immer noch jedes Gespräch zunichte machte. Sie nickte dem Träger zu, der die neuen Seidenstoffe in den Händen hielt, und sagte: »Komm mit.« Dann hielt sie inne und dachte nach. »Du auch«, meinte sie dann mit einem Blick auf Kevin.
Der Barbar schluckte die spontane Frage, was für ein Thema besprochen werden würde, hinunter. Seit er der persönlichen Gefolgschaft der Lady zugeteilt worden war, hatte er die meisten von Maras Vertrauten kennengelernt, nur den Supai, der das Netzwerk der Spione aufgebaut hatte, hatte er noch niemals gesehen. Immer, wenn dieser Mann seine Berichte abgeliefert hatte, war er von Mara zu irgendeiner Besorgung fortgeschickt worden, die ihn längere Zeit fernhielt. Kevin war neugierig, was sie zu dieser Meinungsänderung bewogen haben mochte, doch er verstand inzwischen genug von der Politik der Acoma, um zu wissen, daß es einen wichtigen, wenn nicht sogar gefährlichen Grund dafür geben mußte. Je mehr er beobachtete, desto klarer wurde ihm, daß hinter Maras ausgeglichener Haltung Ängste lauerten, die einen schwächeren Charakter bereits zermalmt hätten. Und trotz seines Ärgers darüber, daß er als wenig mehr als ein sprechendes Haustier behandelt wurde, hatte er widerwillig begonnen, ihre unnachgiebige Stärke zu bewundern. Unabhängig von ihrem Alter oder ihrem Geschlecht war Mara eine bemerkenswerte Frau, eine Gegnerin, die man fürchten, eine Herrscherin, der man gehorchen mußte.
Kevin trat in den dämmrigen Flur und folgte der Lady. Unauffällig begleitete Lujan sie ein ganzes Stück vor dem Sklaven. Der Befehlshaber würde während der gesamten Besprechung an der Tür zum Arbeitszimmer Wache stehen; nicht nur, um seine Herrin zu bewachen, sondern auch, um sicherzugehen, daß keiner der Bediensteten im Korridor herumlungerte und zufällig etwas hörte. Auch wenn Arakasi unermüdlich jedes Haushaltsmitglied überprüft hatte, drängte er Mara zu Vorsichtsmaßnahmen. Es war
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