Der Sklave von Midkemia
sind.«
»Ich werde zurückgehen und ihn rufen«, grunzte Desio, während er sich auf die Füße kämpfte. »Kommt in einer Stunde zu mir.«
Im stillen zollte Tasaio seinem Lord Anerkennung für die Ehrerbietung ihm gegenüber, indem er seinem Wunsch nach einer Zusammenkunft zuvorgekommen war. Dann kniff er die Augen zusammen, wirbelte herum, riß den Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil an die Sehne.
Der Diener, der mit dem Einsammeln der abgeschossenen Pfeile beschäftigt war, sah die Bewegung in letzter Sekunde; blitzschnell duckte er sich, nur einen Herzschlag, bevor der Pfeil genau dort die Luft durchschnitt, wo er gerade noch gestanden hatte. Er blieb bäuchlings auf dem Boden liegen, während weitere Pfeile sirrend über ihn hinwegschwirrten und die Strohpuppe neben ihm durchlöcherten. Sein Gesicht juckte von den herunterfallenden Strohbüscheln, doch er wagte nicht, sie fortzuwischen, ehe er nicht genau wußte, daß sein Herr wirklich alle Pfeile verschossen hatte.
»Ihr spielt mit Euren Männern wie ein Sarcat mit seiner Beute, bevor er sie tötet«, bemerkte Desio, der geblieben war, um das Schauspiel mitanzusehen.
Tasaio zog kühl eine Augenbraue empor. »Ich lehre sie, den Wert ihres Lebens schätzen zu lernen«, erklärte er. »Auf dem Schlachtfeld sind sie allein auf sich gestellt. Wenn ein Diener nicht dafür sorgen kann, daß er am Leben bleibt und dort ist, wo ich ihn brauche, ist er nicht besonders von Nutzen, oder?«
Desio zuckte bewundernd mit den Schultern; er mußte ihm recht geben.
»Ich bin fertig, denke ich. Es ist nicht nötig, noch eine Stunde zu warten, Mylord. Ich werde gleich mit Euch zurückgehen«, sagte Tasaio. Desio gab seinem Cousin einen leichten, freundschaftlichen Schlag auf die Schulter, und gemeinsam stiegen sie den Hügel hinab.
Der Erste Berater der Minwanabi trat in das private Arbeitszimmer Desios; seine grauen Haare waren noch feucht vom Bad, doch er stand kerzengerade wie die Klinge eines Schwertes. Er war ein Frühaufsteher und begutachtete gewöhnlich in den frühen Morgenstunden mit dem Hadonra die Güter. An den Nachmittagen widmete er sich der Verwaltungsarbeit, doch die vielen Sonnenaufgänge hatten ihm das Aussehen eines wettergegerbten, auf den Schlachtfeldern erprobten alten Generals verliehen. Mit dem argwöhnisch beobachtenden Blick eines Kommandeurs verneigte er sich vor den beiden Cousins.
Lord Desio schwitzte, obwohl er bereits drei Becher des seltenen Eisgetränks geleert hatte. Um ihn mit diesem Luxus versorgen zu können, verausgabten sich die Läufer unaufhörlich bis an den Rand der Erschöpfung. Doch im Laufe des Sommers, wenn die Schneegrenze immer weiter in die nördlichen Gipfel zurückwich, konnten auch sie den Wunsch des jungen Lords nach kalten Mahlzeiten nicht mehr erfüllen. Dann wandte er sich dem Trinken zu, um die Hitze zu ertragen, doch im Gegensatz zu seinem Vater Jingu hörte er damit nicht nach Sonnenuntergang auf. Incomo seufzte insgeheim und warf einen Blick auf Tasaio, der immer noch seine Rüstung und die Handschuhe vom Bogenschießen trug und dennoch keinerlei Ermüdungserscheinungen von der Übung auf dem Hügel zeigte. Sein einziges Zugeständnis an die Bequemlichkeit waren die etwas gelösten Schnüre am Hals; zu jeder Zeit, selbst kurz nach dem Aufstehen, schien Tasaio bereit, innerhalb einer halben Sekunde dem Ruf der Schlacht folgen zu können.
»Tasaio hat endlich einen Plan ersonnen, mit dem wir die Acoma vernichten können«, eröffnete Desio das Treffen, während der Erste Berater auf einem Kissen neben dem Podest Platz nahm.
»Das ist gut, Mylord«, antwortete Incomo. »Wir haben gerade Informationen über den Überfall auf die Thyza-Wagen der Acoma erhalten.«
»Wie lief es?« Desio beugte sich begierig vor.
»Schlecht, Mylord.« Incomo verzog keine Miene. »Wir wurden vernichtet, wie zu erwarten gewesen war, doch die Verluste waren höher, als wir jemals vermutet hätten.«
»Wie hoch?« Tasaios Stimme klang ausdruckslos.
Incomo blickte den Cousin mit düsteren Augen an und sagte dann langsam: »Alle Männer, die wir geschickt haben, sind tot. Alles in allem fünfzig.«
Desio lehnte sich zurück; Widerwille spiegelte sich in seinem Gesicht. »Fünfzig! Dieses verfluchte Weib! Ist denn alles, was sie tut, von Glück gesegnet?«
Tasaio trommelte mit einem Finger gegen sein Kinn. »So mag es im Augenblick scheinen, Cousin. Doch in einem Kampf zählt, wer den letzten Sieg erringt. Wir werden schon
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