Der Sklave von Midkemia
Incomo sah ihm zu und fragte sich einmal mehr, ob dieser perfekten Haltung unangemessene Absichten zugrunde liegen mochten. Als der Cousin das Arbeitszimmer verlassen hatte, beugte er sich zu seinem Herrn hinüber und stellte ihm mit leiser Stimme eine Frage.
Desio richtete sich vor Überraschung kerzengerade auf. »Tasaio? Seinen Herrn betrügen?« rief er viel zu laut. »Niemals.« Blinde Überzeugung sprach aus seinen Worten. »Mein ganzes Leben lang war Tasaio uns allen ein Beispiel. Solange ich noch nicht den Rang des Lords bekleidete, hätte er mir sicherlich mit großer Freude den Hals aufgeschlitzt, um selbst den Mantel der Minwanabi zu erhalten, doch seit dem Augenblick, da ich diesen Platz eingenommen habe, untersteht er meinem Befehl. Er ist durch und durch ein Mann von Ehre – und ein Teufel, was seine Schlauheit betrifft. Von allen Männern in meinem Dienst wird er es sein, der mir den Natami der Acoma bringt.«
Zufrieden mit seinem Urteil über diese Angelegenheit beendete Desio den geheimen Rat. Er klatschte in die Hände und forderte die das Zimmer betretenden Diener auf, ihm hübsche Mädchen für ein Bad im kühlen Wasser des Sees zu schicken.
Incomo verbeugte sich zufrieden, denn solange Desio Bastarde zeugte, würde Tasaio für den Schachzug, der zur Zerstörung Maras führen sollte, auf seine Hilfe angewiesen sein. Sollte der Erste Berater der Minwanabi irgendwelche Vorbehalte gegenüber der Rolle haben, in die Tasaio geschlüpft war, gestand er sie sich nicht einmal selbst ein; er war loyal gegenüber seinem Herrn. Solange Tasaio den Interessen der Minwanabi diente, empfand Incomo keine Eifersucht. Abgesehen davon, dachte er ironisch, pflegten die Herrscher großer Häuser nicht selten früh zu sterben; solange Desio nicht geheiratet und einen Erben gezeugt hatte, war Tasaio der nächste, der einen Anspruch auf den Thron hatte. Sollte Desio vorzeitig umkommen, wäre es auf jeden Fall besser, wenn der unerwartete Erbe des Titels nicht gerade unzufrieden mit dem Ersten Berater war.
Incomo winkte einen Diener zu sich. »Benachrichtige Tasaio, daß ich ihm für sämtliche Arbeiten, mit denen er mich zu betrauen gedenkt, zur Verfügung stehe und ihn mit meinen geringen Fähigkeiten gerne unterstützen werde.«
Als der Diener davoneilte, erwog Incomo kurz, ebenfalls ein kühles Bad mit einer hübschen Frau zu nehmen, um seinen schweißfeuchten, müden Körper zu erfrischen. Dann verscheuchte er das Bild jedoch wehmütig und erhob sich von den Kissen. Zuviel war noch zu tun. Und wenn er den jungen Tasaio richtig kannte, würde er schon innerhalb der nächsten Stunde nach ihm schicken.
Langsam schlenderte Mara mit einem Korb in den Händen zwischen den Kekali-Blumen umher, deren Blüten zum Boden zeigten. Sie deutete auf eine. »Diese da«, sagte sie, und gehorsam durchtrennte der Diener hinter ihr mit einem scharfen Messer den Stengel. Ein anderer hielt eine Laterne, damit der erste im dämmrigen Licht des anbrechenden Abends besser sehen konnte. Der Diener nahm die indigofarbene Blume hoch, prüfte rasch, ob die Blütenblätter unbeschädigt waren, und reichte sie mit einer kurzen Verneigung seiner Lady. Mara führte sie sanft an die Nase und genoß den Duft der Blüte, dann legte sie sie zu den anderen in den Korb.
Ein paar Schritte hinter ihr folgte Jican, der ebenso wie sie der leichten Biegung des Pfades folgte. »Die Schlucht zwischen Euren südlichsten Needra-Weiden ist jetzt voller Wasser, Mylady.«
Mara deutete auf eine andere Blume, die geschnitten werden sollte, und ein Lächeln trat auf ihre Lippen. »Gut. Die Brücke über unseren neuen Fluß wird noch vor der Marktsaison fertiggestellt, nehme ich an?«
Jetzt kicherte Jican leise. »Die Bretter werden gerade in diesem Augenblick am Gerüst befestigt. Jidu von den Tuscalora ist ins Schwitzen geraten, denn er verfaßt täglich ein Schreiben mit der Bitte, seine Chocha-la-Ernte mit Booten über den Fluß transportieren zu dürfen. Ich habe ihm jedoch an Eurer Statt höflich mitgeteilt, Mylady, daß damals, als Ihr das Land erworben habt, nur von einer Überquerung mit Wagen die Rede war.«
»Sehr gut.« Mara griff nach der Blume in der Hand des Dieners, doch sie tat es so unvorsichtig, daß sie sich prompt an einem Dorn stach. Mit tsuranischer Gelassenheit erduldete sie den Schmerz, aber das Blut machte ihr zu schaffen. Der Aberglaube auf Kelewan besagte, daß zufällig vergossenes Blut den Appetit des Roten Gottes anregen und
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