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Der Skorpion von Ipet-Isut

Der Skorpion von Ipet-Isut

Titel: Der Skorpion von Ipet-Isut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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hätte! Aber die Siegel waren unversehrt. Er hätte auch nur ungern einen Mann wie den Zweiten Gottesdiener ‚verloren‘…
    „Gehe und ruhe dich aus! Ich kümmere mich um alles, was zu tun ist, um den ‚Ruhmreichen Horus’ einen ebensolchen Empfang zu bereiten.“
    Der alte Priester verneigte sich und entschwand ins Innere des Tempels. Amenemhat trat an das nächstliegende für die Weihezeremonien brennende Feuerbecken und warf die hölzerne Schatulle mit der verräterischen Botschaft hinein. Während er zusah, wie die Flammen sie langsam verzehrten überlegte er seine weiteren Schritte.
    Iny war auf dem Weg nach Waset, um den Thron zu besteigen. Dem Brauch gemäß würde die Zeremonie innerhalb der nächsten Tage nach seiner Ankunft stattfinden. Bis dahin würde Ipet-Isut wieder geöffnet sein für den Gottesdienst. Aber ER würde darauf achten, dass dem neuen Pharao deutlich vor Augen geführt wurde, zu welch entsetzlichen Handlungen die desolate Lage das Volk bereits getrieben hatte! 
    Die Flammen des Weihebeckens fraßen sich in seinen unheiligen Inhalt. Kleine Stückchen verkohlten Papyrus‘ trug der Wind hoch und zerriss sie in noch kleinere Partikel. Schwarze Asche wehte Amenemhat auf die Füße.

    Kahotep legte seinen Brotfladen unberührt wieder auf den Tisch. Die Nachricht von Pharao Ramses’ Tod und der Rückkehr seines Sohnes hatte sich mit Windeseile verbreitet. Der Tempel des Ptah war einer der ersten Orte gewesen, zu dem die Neuigkeit gelangte. Seither beschäftigte den jungen Oberpriester eine ganze Fülle von Überlegungen. Woran er nicht im Mindesten zweifelte, war die große Chance, die ihm mit dieser Wendung in die Hände gelegt worden war. Iny war der einzige Sohn des verstorbenen Königs, also der einzige rechtmäßige Erbe der Doppelkrone. Ihn musste er gewinnen für die Sorgen und Nöte der Flüchtlinge und der anderen leidenden einfachen Leute! Iny war auch der letzte Gedanke seines verstorbenen Mentors Senmut gewesen. Er schien große Hoffnungen in ihn gelegt haben. Der alte Ptahpriester hatte den Kronprinzen persönlich gekannt, ebenso wie die Königliche Gemahlin Nefertari. Selbst später noch, als Iny in den Tempel von Ipet-Isut gebracht worden war zur Ausbildung, war die Beziehung zu Senmut nie ganz abgerissen. Vielleicht könnte er auf diesem Fundament aufbauen... Ehe Amenemhat sein intrigantes Gift auch in das Herz des künftigen Pharao einsenkte, wie er es mit Königin Nefertari getan hatte: sie vergiftet und hörig gemacht wie ein Skorpion sein Opfer, lange bevor er es endgültig fraß! Senmut hatte oft diese Worte gebraucht, wenn er seinen Abschied vom Hof beschrieb... 
    Aber jetzt war die Gelegenheit zu verhindern, dass sich der Lauf der Dinge wiederholte! Ich reise ihm entgegen, beschloss Kahotep und erhob sich. Es war keine Zeit zu verlieren.

    Eine Flotte von prächtig geschmückten Schiffen segelte stromaufwärts. Im Pavillon an Deck des zuvorderst fahrenden Kriegsbootes, dessen hölzerner vergoldeter Steven herausfordernd in den Himmel ragte, saß ein junger Mann, einen breiten königlichen Kragen mit dem heiligen Skarabäus um den Hals und das Diadem mit dem Zeichen der Göttin Nechbet auf der Stirn.
    Der durchdringende Klang eines Signalhorns ließ ihn aufhorchen. Gleichzeitig mit dem Ruf „Waset! Die Heilige Stadt!“ erblickte er in der Ferne am östlichen Ufer zwischen den Dunstschleiern der Nachmittagshitze die flaggengeschmückten Pylone des Tempels von Ipet-Isut, des Thrones Amuns. Westlich davon erhoben sich die Hügel, zwischen denen die Totenstadt lag.
    „Bring mir Wasser und duftende Salben, damit ich meinen Palast nicht von der Sonne ausgedörrt wie ein Bettler betreten muss!“ 
    Der neben ihm in ein plissiertes Gewand gekleidete Höfling nickte und stieß seinerseits einen dunkelhäutigen Sklaven an. „Hast du nicht gehört? Wasser und Salben für den Ruhmreichen Horus Iny!“
    Bald darauf kehrte der Nubier mit einer großen, aus Kupfer getriebenen Schüssel zurück und überreichte sie dem Höfling. Der Kronprinz tauchte die Hände in das Wasser und beugte sich darüber. Die zitternde Oberfläche zeigte ein noch bartloses Gesicht mit vollen Wangen und zwei tiefschwarze Augen, die wie Obsidiansplitter glänzten.

Kapitel 6

    Der feierliche Zug bewegte sich einer bunten Schlange gleich in Richtung des Palastes. Die Sonne glänzte auf den eingeölten Körpern der Soldaten und ihren Waffen. Vor ihnen schritten die Sklaven mit den Pferden, denen bunt

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