Der Skorpion von Ipet-Isut
schon während er sich mit diesen Vorwürfen überschüttete, kostete er jeden Augenblick der verabscheuten Erinnerung erneut aus.
Als er außer Atem durch das Tor in den Innenhof des Ptahtempels stolperte und dabei fast in den Armen eines seiner priesterlichen Gehilfen landete, kam Kahotep endgültig zu sich.
„Erhabener! Ich bin froh, dass du wohlbehalten bist! Wir haben das Schlimmste befürchtet, nach der Aufruhr in Ipet-Isut!“
„Aufruhr?! Was ist passiert?“ Er versuchte, etwas weniger offensichtlich nach Luft zu schnappen und mehr Würde an den Tag zu legen. Unwillkürlich hatte er das Gefühl, sein Gegenüber könnte erahnen, wo er gewesen war. Aber ganz offensichtlich bewegten den anderen Ptahpriester größere Sorgen.
„Ein paar von Dämonen besessene Wahnsinnige haben versucht, das Allerheiligste in Ipet-Isut zu stürmen und den Hohenpriester zu ermorden! Stelle dir vor, was für ein Frevel! Erhabener! Das sind die Früchte deiner Rede gestern! Aufruhr und Tod! Zwei Tempeldiener aus Ipet-Isut soll es das Leben gekostet haben und ein Mann ist in der Stadt von erbosten Gläubigen erschlagen worden, weil sie meinten, er sei unter den Angreifern gewesen!“
„Nicht die Frucht meiner Rede“, entgegnete Kahotep barsch, sich augenblicklich ohnehin sehr verwundbar fühlend. „Amenemhat erntet nur, was er gesät hat!“
Dennoch bedurfte es nicht des Blickes seines Gegenübers, um Kahotep die Heuchelei dieser Worte vor Augen zu führen. Nein, das hatte er nicht gewollt! Nicht, dass noch mehr Unschuldige litten um Amenemhats Willen! Obwohl er jetzt zugeben musste, dass er über die Folgen seiner gestrigen Worte nicht nachgedacht hatte. Er hatte ganz einfach nicht länger an sich halten und schweigen können!
Merkend, dass er die Fäuste geballt hatte, holte der junge Oberpriester tief Atem. „Was ist mit dem Morgenritual?“ fragte er dann.
„Der Zweite Diener Ptahs hat es vollzogen an deiner Stelle.“
Kahoteps Fäuste schlossen sich wieder. Noch nie hatte er seine Pflichten hier vernachlässigt! Er hasste sich, er hasste Itakaiet, und er hasste den Hohepriester von Ipet-Isut, der mit dem Leben davon gekommen war, während andere es erneut hatten lassen müssen.
Die großen Tore des Amuntempels waren geschlossen worden. Hinter ihnen hatten beinahe sämtliche Gottesdiener damit begonnen, die Spuren des Sakrilegs am Morgen zu tilgen. Sie fegten, sprengten Wasser aus dem Heiligen See, wuschen die Pforten ins Tempelinnere. Amenemhat selbst brachte anschließend mit dem Blut der Opfertiere die heiligen Zeichen an. Es würde einige Tage dauern, bis sämtliche Weihezeremonien abgeschlossen waren und sich die Tore von Ipet-Isut wieder für die Pilger öffneten…
Am Mittag zog sich der Hohepriester zu einer Ruhepause in seine Kammer zurück. Seine Gedanken indes fanden keinen Frieden. Ein solcher Frevel war seit Generationen nicht geschehen! Nur in den Zeiten des Verfluchten Pharao, dessen Name nicht mehr genannt werden durfte, waren Tempel gestürmt und Priester erschlagen worden! Wo würden diese gegenwärtigen Zeiten enden?! Dort, wo sie unter dem Verfluchten geendet hatten; im Tod Tausender? Wo würden sie für ihn selbst enden?
Amenemhats Blick verfing sich auf dem kleinen Giftfläschchen vor ihm im Regal und er dachte an den prekären Auftrag des Zweiten Gottesdieners. Hatte er unterdessen Gehör beim Gaufürsten von Men-Nefer gefunden? Würde jener endlich handeln oder auch wieder nur nach Ausflüchten suchen?
Vielleicht hätte ich mich selbst auf den Weg machen sollen… Aber das hätte zuviel Aufsehen erregt...
Er wandte den Blick aus dem Fenster, zu den mit Weihezeremonien beschäftigten Priestern. Man hatte den Tempel von Ipet-Isut gestürmt, den Heiligsten Ort der beiden Länder! Was für eine Ungeheuerlichkeit! Amenemhat war sicher, den Verantwortlichen für diesen besonderen Aufruhr unter dem Volk Wasets zu kennen: den neuen Oberpriester des Ptah. Er war dem jungen Mann, Senmuts Lieblingsschüler, einige Male begegnet. Oft genug, um zu wissen, was für ein Fanatismus hinter dessen hoher Stirn brütete. Bisher hatte Amenemhat den jungen Kahotep nur für ein ausgesprochen lästiges Insekt gehalten. Nun wurde ihm klar, dass er ihn offenbar unterschätzt hatte. Der Erste Gottesdiener des Ptah war ein gefährlicher Gegner!
Amenemhat stand auf, marschierte einige Male auf und ab in dem engen, mit Gerätschaften und Papyri vollgestopften Raum. Kahotep musste unschädlich gemacht
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