Der Skorpion von Ipet-Isut
gewebte Decken übergelegt worden waren. Dann folgten die Höflinge mit dem beleibten Wesir an der Spitze und die Frauen aus dem Harem des verstorbenen Pharao. Der Wesir hatte penibel Wert gelegt auf eine genaue Rangfolge.
Steif wie eine Statue mit gekreuzten Armen saß Iny in der offenen Sänfte. Aber seine Augen blickten lebhaft unter der Schminke und dem kostbaren Goldschmuck hervor, und ab und zu war deutlich zu merken, dass er am Liebsten über das ganze Gesicht gestrahlt hätte wie ein Kind. Neben ihm schritt ein Mann, den eigentlich niemand der Zuschauer an diesem Platz erwartet hätte: Kahotep, Erster Diener des Ptah von Waset. Er wirkte erschöpft, strahlte aber eine unerschütterliche Zuversicht aus. Während des Weges zogen die Ereignisse der vergangenen Tage an ihm vorbei.
Noch immer sah er sich demütig vor dem künftigen Pharao knien, auf dem sanft schaukelnden Boot, mit einer unerbittlich ihm ins Gesicht brennenden Sonne. Er hatte ein kurzes Gebet zum Gott der Weisheit gesandt, gehofft, er würde Senmut gleich kommen an der Überzeugungskraft, und dann zu sprechen begonnen. Über das Leid des Volkes, die Bedrohung der Heiligen Ordnung, die Habgier der Beamten und die Willkür der nubischen Palastgarde...
Nur vor Einem war er noch zurück geschreckt: Amenemhats Verhältnis zu Königin Nefertari zu offenbaren. Er hatte keine Beweise für dieses ungeheuerliche Verbrechen, und ohne diese würde der Hohepriester aus Ipet-Isut es womöglich noch schaffen, sich aus der Affäre zu winden wie eine Schlange und stattdessen Kahotep diskreditieren. Oder gar Schlimmeres... Er hatte manche Gerüchte gehört im Lauf der Jahre, dass den einen oder anderen Höfling ein abrupter Tod ereilt habe...
Nein, Amenemhat zu entmachten musste auf klügere Weise bewerkstelligt werden! Und erst, wenn er die Allmacht, in der er sich noch sonnte, verloren hatte, war es Zeit für jene andere Wahrheit. Wenn der Pharao es nicht unterdessen aus einer anderen Quelle erfuhr. Aber das, sagte sich Kahotep, sollte dann nicht seine Sorge sein.
Iny hatte Kahoteps Worten mit Interesse gelauscht. Er hatte sich nie besonders um Politik gekümmert – das war eine Sache für alte Männer! Aber er war leicht zu begeistern und der Oberpriester des Ptah ein begnadeter Redner. So fielen diese Worte auf unbeackerten und fruchtbaren Boden und konnten sofort Wurzeln schlagen.
„Die Priester sind Diener des Pharao, seine Hände und sein Mund!“ hatte Kahotep gesagt. „Nur so kann die Heilige Ordnung gewahrt bleiben und das Herz der Menschen leicht sein beim Totengericht! Aber Amenemhat von Ipet-Isut maßt sich eine Macht und einen Glanz an, der ihm nicht zukommt! Er ist Vizekönig von Nubien – warum? Was tut er mit dieser Gewalt, mit seinen Einkünften aus den Goldbergwerken?“
Und Iny hatte dem jungen Oberpriester des Ptah ermuntert, neben ihm unter dem Baldachin Platz zu nehmen…
Der Hohepriester des Amun hielt seinen Zorn hinter einer eisigen Maske im Zaum, während Iny und Kahotep an ihm vorüber kamen. Bisher hatte der neue Herrscher Kemets den Ersten Gottesdiener von Ipet-Isut nicht empfangen wollen, und Amenemhat wusste unterdessen, wem er diese spezielle Zurückweisung zu verdanken hatte…
Kahoteps triumphierender Blick streifte ihn, aber Amenemhat ließ sich keine Reaktion anmerken. Der junge Ptahpriester mochte es sich als großen Sieg anrechnen, dem Herrn von Ipet-Isut zuvor gekommen zu sein und wieder an dem Platz zu stehen, den der alte Senmut eingenommen hatte!
Aber richte dich dort nicht zu komfortabel ein, warnte Amenemhat in Gedanken. Glaube mir, du kannst ihm nicht das Wasser reichen! Wenn alles, was du kannst ist, das Volk aufzuwiegeln, damit es die Tempel stürmt... Ja, dann wird Iny bestimmt seine Freude mit dir haben...
Die Augen des Hohenpriesters richteten sich auf den jungen Pharao. Iny hatte sich stark verändert, seit er ihn vor über zwei Jahren an der Seite seines Vaters hatte ins Delta aufbrechen sehen. Aus dem hoch aufgeschossenen schlaksigen Jungen war ein muskulöser junger Mann geworden, der einen gewissen körperlichen Reiz zu entwickeln schien und das auch wusste. Offenbar kam er ganz nach seiner Mutter… Schöpfergott Chnum sei Dank nicht nach seinem Vater, da konnte er sich glücklich schätzen!
Debora beobachtete den Festzug wie tausende andere jubelnde Menschen. Besonders die Flüchtlinge aus dem Delta waren ausgelassen, als ob allein die Tatsache eines neuen Pharao ihnen ihr Land und
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