Der Skorpion von Ipet-Isut
sich ganz einfach kalt und tot an.
„Das Wohl der beiden Länder fordert es von mir. Aber...“ Der Oberpriester von Men-Nefer seufzte, „... ich gebe mich keinen Illusionen hin, was Kiyas Stellung bei Hofe anbelangen wird.“ Er beugte sich über die Brüstung der Dachterrasse und rief einem der Diener zu, seine Tochter zu holen.
Wenig später stand das Mädchen vor den beiden Priestern. Die Aufregung war ihr anzusehen. Die Flügel ihrer gebogenen Nase zitterten. Nein, dachte Kahotep, eine Schönheit war sie wirklich nicht. Sie würde den Titel einer ‚Gottesgemahlin’ tragen, aber sicherlich es niemals wirklich sein. Ramses würde genügend andere Frauen haben können, die ihm ihre fehlende Schönheit ersetzten... Itakaiet... klopfte es wieder schmerzlich in seiner Erinnerung, und er zwang sich gewaltsam zurück in das Hier und Jetzt.
„Kiya“, hatte der Oberpriester vom Men-Nefer zu sprechen begonnen, „...ich habe mich entschlossen, die Werbegeschenke des erhabenen Pharao anzunehmen.“
Das Mädchen schlug die Augen nieder.
„Deine Zofe wird dich herrichten. Geh!“
„Ja, Vater!“ Mit raschen Schritten eilte Kiya die Treppe zum Garten hinunter.
„Das Laufen wird sie sich abgewöhnen müssen“, stellte Kahotep fest.
Debora hörte Fetzen unbekannter Stimmen, spürte Hände, die sie ab und zu berührten. Immer versuchte sie instinktiv zu flüchten. Gefesselt in den Erinnerungen an jenen Abend in Itakaiets Schenke schlug sie um sich mit aller Kraft, bis sie wieder tiefer in das Dunkel hinab glitt. Sie wollte nicht aufwachen. Die Welt draußen war voller Tod, Gewalt und Schmerz! Sie kämpfte gegen die wachsende Helligkeit ihres Bewusstseins mit aller Kraft. Im Dunkel war ein solcher Frieden... und sie sah die Gesichter ihres Vaters und all der anderen, die sie verloren hatte...
Aber irgendwann… wurde das Dunkel heller, trotz aller Versuche, das Licht nicht eindringen zu lassen. Es hörte auf, sich schützend um sie zu breiten. Die Stimmen wurden klarer, auch wenn die Worte noch ohne Sinn blieben. Sie nahm seltsame, aber durchaus angenehme Gerüche wahr und als sich eine Hand auf ihre Stirn legte, öffnete sie die Augen. Verschwommen erkannte sie zwei Gesichter, die sich über sie beugten. Eines davon entfernte sich jetzt.
„Sie ist wach, Erhabener. Ich dachte schon, all meine Kunst wäre vergebens.“ Der Sprecher trug eine kunstvoll geflochtene Perücke.
„Du wirst gebührend entlohnt werden. Melde dich beim Schatzmeister!“
Das zweite Gesicht blieb. Es gehörte einem Mann in priesterlicher Tracht. Kahotep, war das Erste, was Deboras wieder erwachender Geist denken konnte. Aber einen Moment später löste sich die Illusion auf wie der Rauch aus der kleinen Weihrauchschale neben ihrem Bett. Nein, das war nicht Kahotep. Es waren ältere und härtere Züge mit schwarzen Augen. Deboras Unterbewusstsein signalisierte Furcht.
„Wo...“ versuchte sie zu fragen, aber das Sprechen strengte sie zu sehr an, die weiteren Worte blieben unhörbar.
Amenemhat strich ihr über die Stirn. „Du bist in Ipet-Isut, Debora. In Sicherheit. Es wird dir bald besser gehen.“
Die Antwort zog den Schleier von ihrer Erinnerung mit einem Ruck weg. Ihr Herz raste und sie begann zu zittern. All die Dinge, die sie einst über den ‚Skorpion von Ipet-Isut’ gehört hatte, stürzten auf sie ein. Was würde er tun mit ihr, jetzt, da er sie endlich in seiner Gewalt hatte?
„Du... hast mich... gekauft?“
„Das ist nicht wichtig. Du musst gesund werden, alles andere ist nicht von Bedeutung. Ich lasse dir gleich etwas zu Essen und zu Trinken bringen.“
Er versuchte, den Arm um sie zu legen, aber sie riss mit einem Schrei die Hände vors Gesicht. Nur ihre Schwäche hinderte sie ganz offensichtlich daran, aufzuspringen und in Panik davon zu laufen. Während Amenemhat noch überlegte, wie er sich verhalten solle, näherte sich einer seiner Bediensteten.
„Die Boote aus Men-Nefer, Erhabener!“
Der Hohepriester nickte. Ein feierlicher Empfang war das Letzte, wonach ihm zumute war. Eigentlich fühlte er sich zum Umfallen erschöpft nach den Tagen der Sorge um Debora. Und er wollte bei ihr sein, mit ihr sprechen, sie beruhigen… Aber schon vor zwei Tagen war alles für den pflichtschuldigen Empfang der künftigen Gemahlin des Pharao vorbereitet worden. Er musste die Zeremonien hinter sich bringen. Kiya konnte zu einem wichtigen Spielstein werden auf dem Senet-Brett der Macht in Kemet! Amenemhat erhob
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