Der Skorpion von Ipet-Isut
entfernte Stimmen heran.
„Das ist der Empfang für die künftige Gemahlin des Pharao“, erklärte der junge Bedienstete, beginnend, sich wichtig zu fühlen in seinem Auftrag. „Die Ehrwürdige Kiya, Tochter des Oberpriesters des Ptah von Men-Nefer. - Ich hole dir jetzt etwas zu Essen und zu Trinken. Mein Herr hat gesagt, ich soll dir alles bringen, was du haben willst! Möchtest du etwas Besonderes? Wir haben frische Feigen und Granatäpfel, und Würzbrot und natürlich das gekochte Fleisch von gestern Abend und -“
„Etwas Wasser. Nur etwas Wasser, bitte.“
Er verschwand mit schnellen Schritten und Debora lehnte sich wieder zurück, noch immer das Amulett ihrer Mutter umklammernd. Nein, Hunger hatte sie nicht. Ihr Inneres fühlte sich immer noch wie Watte an. Lag es an der Medizin, die man ihr eingeflößt hatte? Als Kare sich einmal den Arm gebrochen hatte, war ihm auch Tage lang ein Sud aus Mohnkapseln verabreicht worden, der ihn sich ganz hohl und leicht fühlen ließ, wie er später erzählte… Bei diesen Gedanken brannten Tränen in ihren Augen. Tränen der Trauer zunächst, aber bald auch Tränen des Zorns. Kare, Tameri, ihr Vater… ihre Familie war tot, ermordet – und sie war hier in Ipet-Isut! Bei dem Mann, der vermutlich den Befehl für diese Tat gegeben hatte! Was würde er jetzt mit ihr tun? Die Angst hämmerte in ihr.
Als Amenemhat von Kiyas Empfang zurückkehrte, saß Debora wach in ihrem Bett. Vielleicht hatten sie erst seine Schritte aufgestört. Auf jeden Fall versetzte sie sein Anblick in Angst, wie er selbst im schwachen Licht der Öllampe deutlich feststellen konnte.
„Es wird dir nichts geschehen, Debora“, versicherte er ihr, während er näher trat und sie weiter zurück wich. „Du bist in Sicherheit. Niemand wird dir wehtun.“
Sie erwiderte nichts, starrte ihn nur an. Amenemhat ließ sich vor dem Bett auf die Knie nieder, um in Augenhöhe mit ihr zu sein. „Glaube mir, Debora, niemand wird dir mehr etwas tun! Was auch immer du erlebt hast, es ist vorüber. … Hast du noch Schmerzen? Brauchst du irgendetwas?“
„Du... Mörder!“ flüsterte sie jetzt. All ihre Kraft konzentrierte sich in dem Hass, in den sich ihre Angst verwandelte und der ihren Augen glitzerte.
„Du Mörder! Du hast... sie umgebracht!“
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Debora.“
„Mein Vater ist tot! Tameri ist tot, alle sind tot! Unser Hof war nieder gebrannt und ALLE waren tot! ALLE!“
„Das tut mir leid. Aber ich habe nichts damit zu tun. Als ich deinen Vater zuletzt sah, einige Tage vor dem Einzug Inys in Waset, war er wohlauf.“
Es war offensichtlich, dass sie ihm kein Wort glaubte. Sie loderte geradezu vor Hass. Amenemhat hatte selten einen solchen Ausdruck in jemandem gesehen; dass er ihn ausgerechnet in diesem Gesicht einer Göttin finden musste, verstörte ihn. Er hatte so herbei gesehnt, dass sie aufwachte und nun war ihre einzige Antwort ein Hass erfülltes Starren.
„Debora, es ist nicht meine Schuld, was passiert ist.“
Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie zuckte zurück. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und ließ das Mädchen allein. Sie sank zurück auf das Bett und die Anspannung der letzten Minuten löste sich erneut in Tränen.
Die Begeisterung und Freude Kiyas über all das Neue und Unglaubliche, was sie hier im Palast des Pharao erwartet hatte, wich schnell der Ernüchterung. Herzlich in Empfang nahm niemand sie hier, wenn auch Worte wie ‚geliebte Tochter’ fielen – es waren nichts als kalte Floskeln. Man lächelte ihr entgegen, aber tuschelte hinter ihrem Rücken. Die Königsmutter Nefertari hatte sie mit dem abschätzenden Blick eines Sklavenhändlers auf dem Markt betrachtet.
Ich genüge ihnen nicht, dachte Kiya bestürzt. Ich bin ihnen zu hässlich, zu dünn… nicht geistreich und witzig genug…
Nun saß sie drei Tage darauf auf der Feier zu ihrer Hochzeit und ihr war nach Weinen zumute. Aber sie riss sich zusammen, damit ihr nicht auch noch die Schminke über das Gesicht lief. Ab und zu sah sie zu Ramses, ihrem Gemahl. Er beachtete sie überhaupt nicht, machte stattdessen immer anzüglichere Bemerkungen zu einer der dunkelhäutigen Dienerinnen, je weiter die Stunde vorrückte. Er lachte laut und sprach laut, machte Kiya Angst. Mit Unbehagen dachte das Mädchen daran, dass der tatsächliche Vollzug ihrer Ehe ja noch auf sie wartete… Ramses war ihr widerwärtig. Warum konnte die mächtige Hathor nicht so gnädig gewesen
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