Der Skorpion von Ipet-Isut
Kahotep schob den Jungen neben einen der Leichenwäscher, als ihm oben von der Treppe Besuch gemeldet wurde. Vier Männer waren als Schemen im Gegenlicht zu erkennen, die ein längliches Bündel trugen, neben ihnen einer der Tempeldiener.
„Frieden, erhabener Kahotep!“ grüßte jener und wies auf die Fremden. „Sie sind eben gekommen und wünschen, dass der Leib ihres Vaters für die Ewigkeit bereitet wird!“
Der zuvorderst Gehende der Männer bestätigte mit einem Nicken die Worte des Ptahpriesters und brachte mit einer Handbewegung zum Mund zum Ausdruck, dass er nicht Sprechen könne. Kahotep machte eine einladende Geste und die Ankömmlinge stiegen die Treppe hinab. In den Gewölben angelangt hoben sie den Leichnam auf eine der steinernen Bänke. Wie zufällig kam dabei ein jeder der Ankömmlinge hinter einem der hier Anwesenden zu stehen.
„Für wie viele Tage seid ihr bereit zu zahlen?“ fragte Kahotep. Der Mann hob zweimal seine Finger, also zwanzig Tage. Unruhig sah er dabei nach oben, wo der Tempeldiener noch auf der Treppe wartete.
Kahotep nahm an, dass sie Sorge hatten, betrogen zu werden. In den letzten Jahren war es öfters vorgekommen, dass in den Tempeln minderwertige Salben zur Bereitung der Toten verwendet wurden, und man nur geringe Sorgfalt bei den Bandagen walten ließ.
„Niemand wird dich betrügen“, versicherte der Oberpriester daraufhin. Er wollte das Tuch zurück schlagen, das den Toten bedeckte. Seine Hand verhielt mitten in der Bewegung – die Finger hatten die Wärme eines Lebendigen berührt! Er hob den Kopf, wandte sich fragend um.
Im gleichen Augenblick warf sich der vermeintliche Tote mit gezücktem Dolch auf Kahotep, und auch die Arbeiter des Balsamierungshauses fühlten kaltes Metall an ihren Rippen. Kahotep hielt das Handgelenk seines Gegners umklammert, aber dieser war erheblich kräftiger als er und stieß den Priester zu Boden. Ineinander verkeilt rollten beide über den Boden, in eines der Regale, dessen Tonkrüge heraus polterten und zerschellten. Die Schneide des Dolches war in Kahoteps rechten Arm gefahren und glitt jetzt gefährlich nahe an seinen Hals.
Der Tempeldiener auf der Treppe hatte zuerst wie gelähmt gestanden, doch jetzt sprang er den Attentäter an. Der Dolch entglitt dessen Hand. Er machte eine rasche Bewegung, um seiner wieder habhaft zu werden. Verzweifelt stieß der Tempeldiener mit dem Fuß nach der Waffe seines Gegners, wurde gepackt und landete hart auf dem Rücken. Während Kahotep versuchte, sich unter den Scherben der Krüge aufzurichten, hatte sein Gegner die Klinge wieder in der Faust. Der Oberpriester hatte eines der Balsamierungswerkzeuge gegriffen. Als sein Gegner wieder auf ihn zusetzte, stieß er die Waffe nach vorn. Blut spritzte ihm ins Gesicht. Ehe der Attentäter zum zweiten Mal ausholen konnte, hatte ihn der Tempeldiener von hinten gepackt und nieder gerissen. Die eigene Waffe bohrte sich ihm in den Magen. Der Tempeldiener brüllte um Hilfe.
Der erste der anderen drei Mordschergen stieß seine Geisel zurück und hastete zur Treppe. Die beiden übrigen folgten, ohne weiter zu überlegen. Einen der Balsamierer, der sie noch zu halten versuchte, traf ein Fausthieb. Dann hasteten die Männer über den Leichnam ihres gefallenen Kameraden nach oben. Hätten sie den gleichen Überfall in Ipet-Isut geführt, wäre ihnen niemals die Flucht gelungen. Der Tempel des Ptah aber war klein und der äußere Hof voller Flüchtlingsfamilien. Die Attentäter tauchten ganz einfach in dem allgemeinen Gewühl und Geschrei des Vormittags unter und passierten unbehelligt das Tor, ehe Hilfe für die Überfallenen eintraf.
Amenemhat stand oben auf dem Pylon. Die Sonne neigte sich dem Horizont zu. Er konnte die Fackeln sehen, die bereits den Palastbezirk erhellten. Unruhe herrschte dort, seitdem der Mordanschlag auf den Berater des Pharao bekannt geworden war. Ramses hatte die intensive Fahndung nach den Attentätern befohlen. Als Drahtzieher der Verschwörung war sehr rasch der Wesir ins Blickfeld geraten. Hatte er nicht am gestrigen Tag erst seine Verbundenheit mit der Priesterschaft des Amun lauthals verkündet? Das, was der unglückselige Beamte dann unter der Folter aussagte, bestätigte die Verdächtigungen. Mochte er auch behaupten, er habe nie und nimmer die Mörder entsandt – Ramses glaubte ihm nicht. Ebenso wenig wie einer Reihe anderer Höflinge, die entweder zu eng mit dem Wesir gestanden hatten, oder beim letzten Kronrat ein zu
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