Der Skorpion von Ipet-Isut
Gottesdiener hatte geantwortet, wie Amenemhat es all seinen Priestern aufgetragen hatte: Wir bitten Amun und alle Götter Tag und Nacht, dem Großen Horus die Augen zu öffnen und Kemet vor der Finsternis zu bewahren...
Der Hohepriester hatte erst gestern erneut mit der Königlichen Gemahlin Kiya gesprochen und einige diskrete Warnungen in seine ansonsten der Grabausstattung des Pharao gewidmete Rede einfließen lassen. Mit besorgter Miene hatte er von der wachsenden Unruhe gesprochen und den mürrischen Gesichtern überall, die ihn so sehr an das erinnert hätten, was in den Annalen über die Zeit des Verfluchten Pharao berichtet wurde. Und, als Kiyas Gesicht blass und ihre Augen groß wurden, hatte er hinzugefügt, dass er natürlich nur beten könne, der Unmut möge sich nicht gegen das Königshaus entladen...
Nein, es brauchte wirklich nicht viel Nachhilfe, um den Aufruhr anzuheizen! Nur Iny-Ramses sah und hörte nichts, nichts außer dem, was Kahotep ihm einflüsterte!
Bedauerlicherweise hatten sich auch Amenemhats Verbindungen in den Palast merklich ausgedünnt, seit sein Spion Djehuti von einem Tag auf den anderen plötzlich verschwunden war. Den Grund hatte er niemals in Erfahrung bringen können – alles, was er wusste war, dass der junge Schreiber nicht hingerichtet worden war. Nicht öffentlich, zumindest. Der Hohepriester empfand keine persönliche Trauer um Djehutis Verlust, aber das Fehlen eines vertrauenswürdigen Ohres im Palast war schmerzlich. Zumal er auf Nefertari auch nicht mehr zählen konnte, wie es schien. Wenn sie sich überhaupt dazu herab ließ, ihn zu empfangen, spielte sie mit herablassender Kühle und machte deutlich, so lange die „rothaarige Hure“ in Ipet-Isut weilte, würde sie ihn nicht mehr sehen wollen.
Amenemhat machte ein abschätziges Geräusch und durchquerte den Säulenhof. Dann sah er am Tor vorbei, an dem die Gläubigen ihre Gaben brachten – es waren stets weniger geworden im letzten Monat, aufgrund der Dürre, aber auch, weil sich mancher nicht mehr den Weg nach Ipet-Isut wagte. Erst in der vergangenen Nacht war ein ängstlicher Bauer am Bitt-Tor aufgetaucht und hatte berichtet, dass seine Nachbarn alle in so gutem Einvernehmen mit dem Tempel des Ptah stünden, dass er nicht offen seine Opfer zu Amun bringen wolle... Wann immer man ihn hörte, sprach der Oberpriester Kahotep von der Gerechten Ordnung und dem Frieden und der Wahrheit. Aber seine Wirkung war genau entgegen gesetzt! Der Strom der Flüchtlinge aus dem Delta riss nicht ab und die Gaufürsten kümmerten sich keinen Deut mehr um die Weisungen aus Waset. Und es sah nicht danach aus, dass der Pharao sich zu einer militärischen Expedition bereit finden würde, so lang Kahotep von Frieden faselte! Frieden! Vertragsschlüsse! Unterwerfung! Jede einzelne dieser Vorstellungen fraß sich wie ein Brandzeichen in Amenemhat. Wie konnte dieser irrsinnige Kahotep ernsthaft glauben, einen Gegner, der so stark war wie die Libyer im Augenblick, mit Verhandlungen ruhig stellen zu können? Noch dazu mit Verhandlungen, die ER führte?! Er hielt das für so lächerlich, dass er glaubte, die Götter selbst müssten sich krümmen vor Lachen – wenn nicht das Schicksal Kemets auf dem Spiel gestanden hätte! Die Zeit für Verhandlungen mit dem Opponenten war seit langem schon abgelaufen. Sie jetzt zu beginnen, würde nur das Signal der Schwäche sein, auf das der Feind wartete…
In wachsendem Zorn auf die allgemeine Entwicklung wechselte Amenemhat ein paar Worte mit dem für den Empfang der Opfergaben zuständigen Priester und lenkte seine Schritte dann weiter.
Im Haupthof erblicke er Debora. Es war einige Tage her, dass er zuletzt mit ihr gesprochen hatte. Nun – wenn man die drei gewechselten Worte überhaupt ein Gespräch nennen wollte! Sein Verhältnis zu dem jungen Mädchen war so distanziert wie zu Beginn, auch wenn sie noch immer in einem Zimmer seines Hauses wohnte. Er verbrachte viel Zeit in seinem Arbeitsraum in Ipet-Isut – vielleicht sogar mehr als notwendig. Und selbst wenn er im Haus war, ging sie ihm mit viel Geschick aus dem Weg. Es gab Tage, da erfuhr er nur durch seine Bediensteten, wie es ihr ging. Das Verhalten erfüllte ihn mit andauernder Verärgerung und vergällte ihm zusätzlich die Lust auf jede andere Frau. Aber es zerstörte nichts von der Faszination, die er für sie empfand, wenn er sich auch manchmal sagte, dass er sich vor ihr zum absoluten Narren machte! Er, der Erste Gottesdiener von
Weitere Kostenlose Bücher