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Der Skorpion von Ipet-Isut

Der Skorpion von Ipet-Isut

Titel: Der Skorpion von Ipet-Isut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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Strahlen der untergehenden Sonne strichen über die kleine Sonnenuhr, die sie auf die Fensterbrüstung gestellt hatte und über den aufgerollten Papyrus vor ihr.  
    Es dauerte eine ganze Weile, ehe Debora merkte, dass sie beobachtet wurde. Dann drehte sie sich hastig um. Es war offensichtlich, dass sie nicht beabsichtigt hatte, bei seiner Rückkehr noch hier zu sein und ihm zu begegnen. 
    „Was willst du?“ fragte sie abwehrbereit. 
    „Ich bezweifle, dass du eine Entschuldigung für mein Verhalten heute Morgen auf dem Pylon akzeptieren würdest.“
    Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er neben sie zum Fenster, warf einen raschen Blick auf den Papyrus. Es waren Hymnen an Ptah. Das versetzte ihm unwillkürlich einen Stich. Kahotep! Iny! Zwei Schlangen, die ihr Gift in den Leib der beiden Länder ergießen und sie zugrunde gehen lassen! 
    „Wer hat dir das gebracht?“ Das war nicht, was er hatte sagen wollen, aber sein Ärger brauchte ein Ventil.
    „Der Tempeldiener, der hinkt. Ich habe seinen Namen vergessen.“ Sie sah zur Seite und ordnete die Gegenstände auf dem Tisch. „Du hast gesagt, ich darf lesen, worauf ich Lust habe.“
    „Nun, das ist wahr. Ich habe dir nicht untersagt, Hymnen an Ptah zu studieren. Warum sollte ich auch? Ich nehme nicht an, dass dieses Studium deine Verachtung für mich noch irgendwie steigern könnte.“
    Sie entgegnete nichts, aber er konnte sehen, dass ihre Hände leicht zitterten, während sie den Papyrus aufrollte. Er wollte gehen, sie allein lassen. Das war, was sein Verstand ihm diktierte. Aber er rührte sich nicht. So wenig wie sie. Nachdem sie den Papyrus zusammen gerollt hatte, stand sie reglos, die Hände auf den Tisch gestützt.
    Hymnen an Ptah! Kahotep! Der Gedanke brannte in Amenemhat; all die frustrierenden Gedanken des ganzen Tages, der ganzen letzten Wochen brannten in ihm. Nein, er würde nicht zulassen, dass Kemet auf diese Weise unterging!
    Die Sonne versank und warf einen letzten blutroten Schein auf die spärlichen Wolken. Der Horizont stand in Flammen und Deboras Haar leuchtete und glänzte wie das Feuer selbst. Auf ihrer Haut lag ebenfalls ein goldroter Schimmer; sie wirkte so unwirklich wie eine aus den jenseitigen Gefilden herab gestiegene Göttin. 
    Nein, und er würde auch nicht zulassen, dass Kahotep für immer zwischen ihnen stand, den Geist dieser Göttin gefangen nahm! 
    Er zog Debora an sich. Diesmal nicht willens, sie wieder gehen zu lassen, ehe das Feuer in ihm niedergebrannt war. Ihre Lippen waren weich und heiß; für einen Moment hatte er den Eindruck, sie würde seine Leidenschaft erwidern, sie würde ihn ebenso sehr begehren wie er sie...
    Aber von einem Augenblick zum anderen leistete sie heftige Gegenwehr, schlug und trat und kratzte. Amenemhat ließ sie los. Er wich einige Schritt zurück, sowohl um sie zu beruhigen, als auch sich selbst. 
    „Debora, ich...“ Es fiel ihm nichts ein, was er hätte sagen können.
    Sie starrte ihn an, die gleiche Furcht in den Augen wie am Morgen. Aber... er hatte das undeutbare Gefühl, die Furcht gelte nicht ihm, sondern irgendetwas Verborgenem. Tief in ihr Verborgenen. Von dem sie Angst hatte, dass es ans Licht kam.
    „Ich will fort von hier!“ flüsterte sie, ehe Amenemhat etwas sagen konnte.
    „Und wohin?“ Eine belanglose Frage um Zeit zu gewinnen.
    „Zu... Kahotep!“ 
    „So. Zu Kahotep.“ Du weißt genau, was die schärfste Klinge ist, um mein Herz sicher zu durchbohren?!
    „Zu dem allseits verehrten Kahotep, sieh an.“ Er kämpfte um einen Spott, der ihm erlaubte, seine Würde zu bewahren. Dabei hielt er den Türrahmen so fest umklammert, dass er das Gefühl hatte, der Stein zerschnitte ihm die Handfläche. Aber der Schmerz half ihm, genügend emotionale Distanz zu dem, was er sagte, zustande zu bringen. „Was glaubst du, wird er mit dir anfangen? Dir einen Ehrenkranz verleihen für deinen standhaften Hass auf mich, vielleicht?“
    Deboras Lippen zitterten. „Ich ... ich will ihm helfen, die Armen zu versorgen. Und ich... ich will seine Gefährtin werden!“ 
    Das ist nicht wahr! Das ist nicht WAHR! „Ah... und du glaubst, das ist der richtige Platz für dich.“ 
    „Warum nicht?“ antwortete sie zornig. „Kahotep ist ein guter Mann! Er ist...“
    „Gütig und heilig, nicht wahr?“ Ich wünschte, ich hätte ihn eigenhändig erwürgt!
    „Ich habe gesehen, wie er den Flüchtlingen geholfen hat, den Verwundeten und Kranken! Ich habe gehört, wie er gesprochen hat! Er ist

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