Der Skorpion von Ipet-Isut
sich den Schweiß von der Stirn, der in seinem staubigen Gesicht helle Linien zeichnete. „Ich habe die Wachen verstärken lassen, seit letzte Woche wieder eine Bande Grabräuber unterwegs war. Siehe, wir sind mit den Statuen bei der Feinarbeit angelangt.“ Er wies zu den beiden mächtigen Wächterfiguren vor dem Eingang zur Grabkammer für Ramses, um die ein halbes Dutzend Steinschleifer und Bildhauer am Werk war, teils auf der angeschütteten Sandrampe sitzend, teils auf dem hölzernen Gerüst. Soeben huschte ein Mann mit einem Kästchen voller Farbpulver und einer Ölflasche an ihnen vorbei, vollzog rasch die schuldige Ehrbezeigung vor dem Hohenpriester und eilte dann ins Innere des Grabes weiter.
„Die Ausmalung schreitet auch gut voran“, beeilte sich der Baumeister zu versichern. „Wir haben gestern mit dem Totengericht begonnen.“ Er ging mit einer einladenden Geste voran und Amenemhat folgte ihm.
Nach der Gluthitze der Wüste war der Eintritt in die kühlen Gefilde der Grabkammer eine Erholung. Bald standen sie vor der gekalkten Wand, an der gerade ein junger Mann die groben Kohlevorzeichnungen der Waagschale für das Totengericht mit Farbe zu füllen begann.
„Teti ist einer unserer begabtesten Künstler“, stellte der Baumeister ihn vor und der junge Maler hing seinen Blick an den Hohepriester, erwartungsvoll auf ein Lob, oder vielleicht – wenn Amun ihm gnädig war – gar auf einen Auftrag im Tempel von Ipet-Isut hoffend. Doch Amenemhats Augen ruhten auf dem halbfertigen Gemälde vor ihm, auf den Händen des Totenrichters, der die Waage hielt, auf deren rechter Schale eine aufgerichtete Feder zu sehen war. Er hatte das Gefühl, als flüstere die Gestalt des Thot mit Senmuts Stimme „Du wirst verflucht sein und elend sterben…“
Besser ich als ganz Kemet...
„Dein Herz wird schwer sein wie ein Stein beim Totengericht, deine Hände werden voller Blut sein...“
„Erhabener? Ist dir nicht wohl?“
Der Hohepriester spürte eine Berührung an seinem Arm und merkte, dass er den Kopf gegen die Wand gelehnt hatte. Der junge Maler musterte ihn jetzt sichtlich erschrocken – diese Reaktion hatte er mit seinem Kunstwerk schließlich nicht beabsichtigt!
„Es ist nichts“, entgegnete Amenemhat, straffte sich und versuchte, das bedrängende Gefühl aus sich zu verbannen. „Ich bin nur … etwas... müde.“ Er streckte die Hand aus und zeichnete Teti das Segenszeichen auf die Stirn. „Fahre fort mit deinem Werk! Und du, Baumeister, zeige mir die restlichen Räume!“
Als sie nach ihrer Besichtigung wieder in die Hitze des Nachmittags hinaus traten, herrschte Aufregung unter den Arbeitern. Einen Moment darauf erfuhr der Amunpriester auch den Grund: Ein Gesandter Pharao Ramses’ war eingetroffen. Beschirmt vom Straussenfederwedel seines Sklaven stand er jetzt auf einem der Gerüste und bereitete sich auf eine feierliche Ankündigung vor.
„Hört, ihr meine Arbeiter an der Heiligen Stätte!“ hallte es dann über den Platz, und nun erstarb auch das letzte Schaben und Klopfen. Jemand rannte in das Innere des Grabmals, um den dort Beschäftigten Bescheid zu geben.
„Der Ruhmreiche Horus, Ramses, gibt bekannt, dass an jeden Arbeiter hier in West-Waset eine Sonderration Gerstenbier und ein Ballen gutes, neues Leinen verteilt werde! Anlässlich der freudigen Nachricht, dass die Gottesgemahlin Kiya ihm ein Kind schenken wird!“
Amenemhat horchte überrascht auf. Kiya war schwanger?! Iny hatte doch kaum mehr als die Hochzeitsnacht mit ihr verbracht! Wenn die junge Frau dem Pharao einen Erben schenkte, würde er vermutlich noch träger in der Erfüllung der Staatsgeschäfte vorgehen. Kahotep würde noch mehr überall hinein regieren! Und überdies würde das Kind Enkel des Oberpriesters von Men-Nefer sein! Womöglich könnte Kahotep dann seinen Plan mit der Verlegung der Residenz nach Men-Nefer durchsetzen!
Verflucht seien die Dämonen, die das Attentat hatten scheitern lassen! Verflucht die Götter, die dem Untergang Kemets so tatenlos zusehen, fügte Amenemhat danach noch zornig hinzu. Der Wüstenwind knisterte in den trockenen Palmblättern, als gäbe er Antwort auf seine gedankliche Feststellung.
„Verfluch wirst du sein...“
Besser ich als ganz Kemet! Antwortete er Senmuts Schemen in Gedanken. ICH werde nicht zusehen, wie die beiden Länder in Inys Chaos versinken!
Als der Erste Gottesdiener aus West-Waset in sein Haus zurück kehrte, fand er Debora im Hauptraum. Die letzten
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