Der Skorpion von Ipet-Isut
hölzernes Figürchen entgegen. „Bastet ist meine Schutzgöttin!“
Debora sah jetzt, dass es sich um eine geschnitzte Katze handelte, kaum eine Handlänge hoch. Das Figürchen ließ eine unwillkommene Erinnerung in ihr aufsteigen. Die Festtage in Ipet-Isut und der Andenkenhändler vor dem großen Tor des Tempels, der ihr eine Statuette des Usire umsonst hatte geben wollen, weil sie die „Gefährtin des Ersten Gottesdieners“ sei… Und Amenemhat stand die ganze Zeit hinter ihr und hatte sich gewiss über sie lustig gemacht!
Amenemhat…
„Ich schenke sie dir!“ Die Worte des Jungen, die ihn ganz sichtliche Überwindung gekostet hatten, riefen Debora wieder in die Gegenwart zurück. Nein, sie wollte ganz gewiss nichts, was sie noch mehr an Amenemhat denken ließ! Andererseits konnte sie es nicht übers Herz bringen, den kleinen tapferen Spender vor den Kopf zu stoßen. Er strahlte jetzt über das ganze Gesicht und war so stolz, eine gute Tat zu vollbringen.
„Danke. Ich danke dir“, sagte sie und brachte mit Mühe auch ein Lächeln zustande. „Du hast mir eine Freude gemacht! Aber jetzt geh zu deinen Eltern!“
Das Kind lachte, hüpfte die Treppen hinunter in den Hof, winkte noch einmal und war verschwunden.
„Die Schutzgöttin der Freude...“ wiederholte Debora leise und betrachtete die Katzenfigur. Im Augenblick hatte sie nicht das Gefühl, je wieder glücklich und freudig sein zu können.
Sie wäre am liebsten irgendwohin geflüchtet, wo sie allein war und sie nichts von der Welt draußen mehr hören oder sehen musste. An einen Platz, der wie ihr Hof früher war, abgeschirmt von allem Fremden, was außerhalb vor sich ging…
Aber neue Stimmen klangen zu ihr, aufgeregt und nicht zu ignorieren. Sie kamen aus einem der Flüchtlingszelte, wo offenbar eben eine neue Nachricht eingetroffen war:
„…sagt man, der Hohepriester von Ipet-Isut liegt im Sterben! Stell dir vor, in den Schenken schließen sie Wetten ab, ob er die Nacht überlebt!“
„Wie kann man darüber wetten?“ ereiferte sich eine Frauenstimme. „Gottloses Tun, so was!“
„Aber wenn ich für mein Kupferviertel eine ganze Ladung Leinenballen gewinne, Weib, dann freust du dich! Ich sage dir, er überlebt nicht! Ich habe dieses ganz besondere Kribbeln in meinen alten Wunden! Wie immer, wenn wir Glück haben!“
Debora presste die Hände gegen die Ohren.
„Wir müssen die Hitze aus seinem Körper bringen, oder er wird sterben.“
Wer sagte das? Sprach man von ihm? Amenemhat kämpfte verbissen, ans Licht des Bewusstseins zu kommen.
Menkheperre war zu den beiden Ärzten getreten, mit zwei Amuletten in der Hand, die er jetzt auf Amenemhats Brust presste, dabei Verwünschungen gegen die Dämonen von Krankheit und Unterwelt murmelnd. Das Metall fühlte sich angenehm kühl an und der Hohepriester schloss die Augen. Dann schob sich der Rand eines Gefäßes zwischen seine Lippen und eine Flüssigkeit rann in seinen Hals. Die Anwesenden sprachen von Zutaten und Mengen für weitere Medizinen, aber Amenemhat konnte ihnen nicht folgen, so sehr er sich auch bemühte. Die Stimmen verschwammen und gingen auf in einem stetigen Rauschen, das ihn an Wind in den Schilfblättern erinnerte und … an Debora, erneut.
Verschwinde aus meinen Gedanken! Ich mache mich nicht länger zum Narren! Verschwinde… endlich!
Sorgfältig breitete Menkheperre das mitgebrachte Verbandsmaterial und die Arzneien auf dem kleinen Tisch aus. Anschließend begann er vorsichtig, den alten Verband von Amenemhats Bein zu lösen.
„Debora…“ murmelte er wieder und wieder, ohne von der Tätigkeit seines Krankenpflegers geweckt zu werden. Menkheperre fuhr Stirn runzelnd in seinem Tun fort, bestrich die neuen Bandagen mit einer Mischung aus Kräutern und Honig. Diese rothaarige Fremdländerin musste Amenemhat mit einem Bannspruch ihrer fremden Götter belegt zu haben! Menkheperre hielt es für gut, dass sie endlich aus Ipet-Isut verschwunden war, seit fast zwei Wochen schon. Auch wenn sie aus dem Geist seines Freundes so leicht offenbar nicht weichen wollte! Sie war ein hochmütiges, undankbares kleines Ding! Beherbergt worden war sie von Amenemhat, und nicht nur mit Kleidung, Speise und Trank versorgt worden, sondern auch noch mit Schmuck, Duftölen und anderen Geschenken bedacht worden. Und wie hatte sie es gedankt – mit nichts! Mit einem stillen Gebet lobte Menkheperre die Götter, die ihn mit einer liebenden Frau und einer Familie beschenkt hatten.
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