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Der Skorpion von Ipet-Isut

Der Skorpion von Ipet-Isut

Titel: Der Skorpion von Ipet-Isut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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mir!“
    Endlich setzte er seinen Weg fort. Der Mundschenk wandte sich Richtung Fluss, gewillt, seine Geschäfte schnellstens über die Bühne zu bringen und sich wieder zu waschen.
    Die Lehmhütte der ‚Dämonenflüsterin’ besaß keine Tür. Unrat häufte sich draußen. Sein Bruder Sethnakht hatte ihm damals von diesem Ort erzählt, aber ihn nun mit eigenen Augen zu sehen und vor allem zu riechen war beinahe mehr, als er ertragen konnte. Schwärme von Fliegen kreisten über halb ausgeweideten Kadavern. In der Tat, hier mussten die Dämonen eine wohlige Heimstatt haben…
    Er räusperte sich, bemühte sich um ein entsprechend herrisches Auftreten und rief: „He! Alte! Ich habe ein Geschäft für dich!“
    „Was?“ kam eine brüchige Stimme aus dem dunklen Innenraum. „Geschäft? Was für ein Geschäft?“
    Der Mundschenk starrte die Frau an, die nun aus der Hütte hervor humpelte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals ein hässlicheres menschliches Wesen gesehen zu haben. Die breite Nase und die dunkle Hautfarbe verrieten nubisches Blut in den Adern der Heilkundigen. Die Narben einer Verbrennung entstellten ihre rechte Gesichtshälfte, und das graue Haar stand ihr wirr vom Schädel ab. „Was willst du?“ fuhr sie ihn an. Aus ihrem Mund drang fauliger Geruch. „Und woher kommst du?“ Sie kniff ihren Besucher in den Arm, ehe dieser zurück weichen konnte. „Reichlich fett bist du für einen aus dem Armenviertel! Und du hast den Tonfall eines Herren am Leibe! Jaja, ich mag alt sein… und die Leute behaupten, ich sei verrückt… aber ich bin nicht blind und taub!“
    Der Mundschenk schluckte den aufsteigenden Ekel bei ihrer Berührung mit Mühe herunter. „Du erinnerst dich an den Mann, der die Beschwörungen gegen die Totengeister von dir kaufte?“
    „Meine Erinnerung ist wie Morgennebel…ich erinnere mich an dieses, dann an jenes, ohne das es ein klares Bild gibt. Ich will wissen, was dich zu mir schickt und wie viel du zahlst! Du sprachst von einem Geschäft?“
    Der Mundschenk hatte gehofft, die Alte etwas einschüchtern zu können mit dem Hinweis auf die Wirkungslosigkeit ihrer Bannsprüche. Aber er begann zu merken, dass er dabei auf harten Stein beißen würde. Und dieser Gestank! Hauptsache, er brachte diese Angelegenheit hinter sich. 
    „Ich will, dass jemand aus dem Leben scheidet“, erklärte er nun knapp.
    Zu seiner Überraschung kicherte die Alte. „Ah! Ich habe es dir doch angesehen, sofort habe ich es dir angesehen! Du willst jemanden ins Totenreich schicken, der noch nicht bereit ist! Ja, ja... die Menschen sind schlecht! Immer sind sie schlecht gewesen... Um wen geht es? Ein Mann? Eine Frau? Willst du ein langsames oder ein schnelles Ende?“
    „Langsam, wenn es nach mir ginge… aber ein Schnelles ist der sicherere Weg.“
    „Ein weiser Mann, der das erkennt! – Und was wirst du mir zahlen?“

    Gegen Morgen erst war Debora eingeschlafen, da wo sie saß, einfach mit dem Kopf gegen die Mauer gelehnt. Wie schon so oft träumte sie von dem schauderhaften Blick in ihren verbrannten Hof, dem Blick auf die Toten. Tameri… ihr Vater… Und doch war etwas anders diesmal! Das Gesicht des Mannes, der auf der Schwelle des Hauses ausgestreckt lag, gehörte nicht ihrem Vater. Es waren Amenemhats Augen, die sie anblickten. Es war seine Stimme, die flüsterte: „Dein Brautgeschenk… für Kahotep…“
    Debora versuchte verzweifelt aufzuwachen, aber es gelang ihr nicht. Sie war wie gefesselt von der halb in Dunkelheit verschwimmenden Gestalt auf der Schwelle, die ihr jetzt die Hand entgegenstreckte.
    Aber sie rührte sich nicht, konnte sich nicht bewegen. Stumm starrte sie auf ihn herab, bis seine Stimme immer leiser wurde und schließlich erstarb. Debora schrak hoch, streckte die steifen Glieder. Die frühmorgendliche Kühle kroch unangenehm in ihr hoch.
    In einigen Zelten der Flüchtlinge waren die Familien bereits wach, Kindergeschrei war zu hören und der Geruch von frisch gebackenen Brotfladen zog durch die Luft. Debora verspürte trotzdem keinen Hunger. Sie fühlte sich müde, zerschlagen und der Traum geisterte immer noch durch sie. 
    Ihr Vater, Tameri, Kare, alle waren sie gestorben, ohne dass sie etwas für sie hatte tun können! Und Amenemhat starb auch! Alle, die ihr irgendetwas bedeuteten, STARBEN! Sie stockte wie von einem Peitschenhieb getroffen, als sie merkte, was sie eben gedacht hatte. So lange hatte sie den Gedanken zurück gehalten, und jetzt hatte er sich beinahe wie

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