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Der Skorpion von Ipet-Isut

Der Skorpion von Ipet-Isut

Titel: Der Skorpion von Ipet-Isut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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Monaten. Sie ließ den Blick schweifen über die Bilder an den Wänden und dachte daran, wie viele der Geschichten sie jetzt verstand – im Gegensatz zu ihrem ersten Aufenthalt hier. Wieder blieb sie an jenem Gemälde hängen, das sie das allererste Mal so erschreckt hatte: Der Mann in der hohepriesterlichen Tracht von Ipet-Isut, die großen Augen voller magischer Ausdruckskraft auf eine löwenköpfige Göttin gerichtet.
    Amenemhat… 
    Der Gedanke an ihn trug ein verstörendes Gefühl von Schuld und Kummer in sich. Sie versuchte, es sofort mit aller Kraft zur Seite zu schieben. Warum konnte sie nicht aufhören, an ihn zu denken?! Sie klopfte unruhig mit den Fingernägeln auf die Haarspange, die er ihr einst geschenkt hatte, überlegte, ob sie das Schmuckstück einem der Flüchtlingsmädchen weitergeben sollte... Warum hatte sie es überhaupt mitgenommen?
    Seufzend erhob sie und wanderte auf und ab, darauf achtend, die Handwerker nicht zu stören. Wann endlich kam Kahotep wieder in den Tempel? Es hieß, er sei am Hof des Pharao…
    Eine Stimme ganz in der Nähe ließ Debora aufhorchen.
    „... dürft ihre keine Angst haben, auf diesem Land zu siedeln“, vernahm sie. „Es war Land der Tempeldomäne von Ipet-Isut, ja. Aber glaubt ihr nicht, dass es Amun am Herzen liegt, dass ihr zu essen habt? Warum sollte er euch strafen? Da ist Gerede der Priester aus Ipet-Isut! Nichts weiter!“
    Kahotep war zurück! Debora stand auf, strich hastig ihr Kleid glatt und versuchte, ihre widerspenstigen Haare mit der Schmuckspange zu bändigen. Ob er sich an sie erinnerte? Mitten in der Bewegung verhielt sie. Wie sollte sie es anstellen, ‚zufällig’ seinen Weg zu kreuzen? Sie konnte ihm ja nicht einfach vor die Füße fallen wie jener Mann dort drüben jetzt, der sich offenbar eine Gunst erhoffte... Oder doch? Sie sah, wie der Oberpriester des Ptah den Bittsteller segnete, dann ein paar Worte mit einem seiner Begleiter wechselte und weiterging. Wenn sie noch lange hier stand und nur starrte, würde er hinter dem großen Tor zum inneren Tempelbereich verschwunden sein! Das Mädchen fasste sich ein Herz.
    Kurz bevor sie Kahotep erreicht hatte, hielt sie jedoch einer der ihn begleitenden Tempeldiener zurück. 
    „Was willst du?“
    Ehe sie antworten konnte, hatte der Oberpriester sich umgewandt und musterte Debora seinerseits. Der Ausdruck seines Gesichts sagte ihr, dass er sie wohl wiedererkannt hatte. Aber sie ahnte nicht, dass ihr Anblick Kahotep gerade an jenen verhängnisvollen Abend erinnerte, als er das erste Mal zu Itakaiet gegangen war. Sie sah nur, wie die Falte zwischen seinen Brauen tiefer wurde und ein Schatten über seine Züge fiel. 
    „Was ist dein Anliegen, Mädchen?“ 
    Es klang für Deboras Ohren so abweisend und unfreundlich, so anders als seine Worte, die er damals während der Unruhen in der Stadt an sie gerichtet hatte, dass sie Mühe hatte zu antworten. 
    „Ich will... dir dienen...“, murmelte sie endlich und blickte zu Boden.
    „Ich brauche keine Dienste einer Frau. Ptah braucht keine Dienste einer Frau!“ Mit diesen Worten drehte er sich um und steuerte mit raschen Schritten auf die Pforte zu. Seine Begleiter folgten ihm. 
    Debora blieb allein mitten auf dem Hof stehen und fühlte Tränen in den Augen brennen. Über so viele Monate hatte sie Kahoteps Bild in ihrer Erinnerung gepflegt und auf einen Altar gestellt. Sie hatte sich den Augenblick ihres Wiedersehens so oft ausgemalt! Sie hatte sich so fest daran geklammert, dass sie jetzt buchstäblich den Halt verlor. Ohne auf ihre Umgebung und die Beschimpfungen der Leute, die sie anstieß zu achten, lief sie zurück durch die Flüchtlingsbehausungen unter den Säulengang. Dort ließ sie sich gegen die Wand fallen, kauerte sich zusammen. Tränen liefen ihr über das Gesicht, aber es war ihr im Moment absolut egal, wenn man sie so sah. Alles war ihr egal... Was hatte sie getan, was hatte sie falsch gemacht, wieso hatte Kahotep ihr nicht einmal ein freundliches Wort geschenkt? Wieso, wieso, wieso? 

    „He... du? Warum weinst du?“
    Debora sah auf, wischte sich über die Wangen und erblickte einen schmutzigen kleinen Jungen vor sich, der sie mit großen Augen betrachtete.
    „Du darfst nicht weinen! Alle sollen froh sein! Heute ist doch Festtag!“
    „Festtag?“ fragte sie mit rauer Stimme zurück und wünschte eigentlich nur, das Kind würde bei seinen Eltern verschwinden.
    „Mein Festtag!“ Der Kleine strahlte und hielt ihr ein kleines

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