Der Skorpion von Ipet-Isut
Position. Auf eine gewisse Weise saß er in der Falle, gefangen in dem von ihm selbst gewebten Netz. Es bedurfte nur eines falschen Wortes im falschen Augenblick, das das Gehör des Pharao erreichte, und die Schlinge würde sich zuziehen um seinen Hals!
„Was wirst du jetzt tun?“ fragte Menkheperre.
„Ich weiß noch nicht“, sagte Amenemhat leise, das seltene Zugeständnis der eigenen Machtlosigkeit mit einem schwachen Lächeln kaschierend. „Aber ich werde es bald wissen! – Wir sollten sehen, dass wir zurück nach Ipet-Isut kommen! Du kannst meine Sänfte haben; ich gehe zu Fuß!“
Kahotep, ein junger Vorlesepriester und einer der Diener Ptahs, beobachtete die Szenerie von der Galerie aus. Mit entrüstetem Gesicht wandte er sich nun zu seinen Begleitern: „Seht ihr, was für einen Schmuckkragen der Erste Diener Amuns trägt? Eines Königs würdig!“
„Ruhig, Kahotep!“ fiel ein Älterer beschwichtigend ein. „Es ist nicht gut, wenn das Herz von solchem Zorn ergriffen ist!“
„Wie kann ich ruhig sein? Tag für Tag sehe ich das hungrige Volk in der Stadt und die Flüchtlinge aus dem Delta! Und Amenemhat kleidet sich in königlichen Schmuck! Er bestiehlt alle! Und er beschmutzt die Heilige Ordnung! Er beschmutzt sie nicht nur, er zerstört sie! Es ist, wie Senmut es gesagt hat!“
Mehrere warnende Stimmen wurden laut. Was den Herren von Ipet-Isut und Königin Nefertari anbelangte, so war es nicht opportun, zu viel zu wissen! Aber Kahotep hatte sich so in Feuer geredet, dass er nichts um sich mehr wahrnahm.
„Ist nicht Ptah der Schöpfer von allem? Die Dinge wurden Wirklichkeit, weil er sie benannte! Er gab uns die Ma‘at, die heilige Ordnung, der alles Volk in Kemet verantwortlich ist! Aber dieser Mann bricht sie täglich! Ihr wisst es alle, was er Verwerfliches treibt mit der Gottesgemahlin! Nefertaris gottgewollte Pflicht ist es, den König zu unterstützten, so wie Iset ihrem Gemahl Usire beigestanden hat; wie Hathor dem lebensspendendem Ra! Stattdessen ist sie wie das Gift einer Schlange, das Lähmung und böses Blut verursacht! Vergiftet durch den Skorpion aus Ipet-Isut! Er wird uns alle ins Unglück stürzen, wenn wir nichts tun! Ptah wird uns strafen, wenn wir ganz einfach zusehen! Alle Götter Kemets werden uns strafen!“
„Kahotep! Schweige! Diese Reden rufen die Dämonen der Zwietracht auf Waset herab!“
„Und was ruft Amenemhat von Ipet-Isut auf uns herab?!“ Eine steile Zornesfalte zwischen den Augen verfolgte der junge Priester, wie die beiden Gottesdiener des Amun den Gartenbereich verließen und damit aus seinem Blickwinkel gerieten. „Ptah ist der mächtigste Gott!“ sagte er nach einer Weile. „Darum müssten auch uns die reichsten Opfer gehören, nicht den Amunpriestern! Aber wer zu uns kommt ist so arm, dass er kaum eine Schale Getreide auf den Altar stellen kann! Unser Tempel ist der Kleinste von ganz Waset! Sogar die Häuser der fremdländischen Götter sind schöner! Dieser Platz sollte nicht das Herz der beiden Länder sein, sondern Men-Nefer, die auserwählte Stadt Ptahs! So wie Pharao Merenptah – er lebe ewig – es bestimmt hat!“
„Das ist vergangen. Vergangen wie so vieles! Und der Vergangenheit nachzutrauern ist nicht weise.“
Kahotep verstummte. Seinen Amtskollegen missfiel, was er gesagt hatte – aber das änderte nichts daran, dass er von Unruhe verzehrt wurde, die derzeitige Lage in Waset und ganz Kemet zu ändern! Seit seine Eltern ihn in den Tempel des Ptah gebracht hatten, hatte er Senmuts Verachtung für den Herrn von Ipet-Isut in sich aufgesogen und zu seiner eigenen gemacht. Und wenn niemand sonst gegen Amenemhats Verbrechen angehen wollte, so würde er es allein tun, unter dem Schutz Ptahs, des Schöpfers allen Lebens und der gerechten Ordnung! Das Volk sah nur die giftigen Zweige der Pflanze, aber er wusste ganz genau, wo die Wurzel sich verbarg! Sie musste ausgerissen werden! Endlich! Kahotep kannte den Groll der Leute, denn es war sein eigener. Er musste einen Weg finden, den Notleidenden zu helfen! Den Frieden und die Ordnung wieder herzustellen, ohne die nichts mehr gedeihen konnte in den beiden Ländern, weder das Getreide, noch das Vieh, noch die Menschen.
Khenti lehnte mit einem siegesgewissen Grinsen gegenüber der Sänfte des Hohenpriesters, als jener in Menkheperres Begleitung zurückkehrte.
„Nun, habe ich gelogen?“
Amenemhat war so in Gedanken, dass er nichts erwiderte, sondern dem Vierten Gottesdiener wortlos in
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