Der Skorpion von Ipet-Isut
nicht für eine junge Dame, die bald in den Stand der Ehe tritt, so neugierig zu sein!“
Das Mädchen seufzte. Warum musste Tameri sie allenthalben daran erinnern, dass sie bald heiraten sollte?! Das, was ihre alte Amme ihr bisher über die Pflichten einer Ehefrau geschildert hatte, verlockte sie nicht gerade... Ein Haus sauber zu halten, Korn zu mahlen und Essen zu bereiten, Kleidung zu weben, und vor allem ihrem Gemahl in allem und jeden zu gehorchen und zu Diensten zu sein, das hörte sich für Debora eher an, als solle sie als Sklavin verkauft werden. Tameri hatte immer wieder betont, das sei das von den Göttern gewollte und daher gute Schicksal einer Frau. Nichts desto weniger gefiel Debora nicht, ihr gewohntes Leben und ihre Kindheit so rasch hinter sich zu lassen.
Tameris Schnarchen klang durch den kleinen Raum. Mit einem erneuten Seufzer ließ sich Debora auf ihre Matte zurück fallen. Als sie endlich doch einschlief träumte sie von einer prächtigen Hochzeit – und der Mann, dem sie unter dem Blütenbaldachin die Hand reichte, hatte Amenemhats Züge.
Dämmerung senkte sich auf das Land und die ersten Sterne stiegen am Himmel auf. Ein leichter Wind bewegte die Palmen am Flussufer. Aus den Tiefen des Tempels klangen die Gesänge der nächtlichen Rituale. Die Priester von Ipet-Isut hielten den Lebenslauf in Kemet aufrecht, vor allen anderen. Wenn sie verstummten, würde der allnächtliche Kampf des Sonnengottes gegen die Mächte des Chaos nicht mehr siegreich verlaufen.
Aber der oberste Herr von Ipet-Isut, Hohepriester Amenemhat, war nicht der Mann, sich allein auf die Macht von Opfer und Gebet zu verlassen. Er erlebte seit zu vielen Jahren mit, wie der Pharao, der durch Amun-Ra eingesetzte Verwalter Kemets, das Land in den Ruin steuerte. Er sah die Fremden an den Grenzen ihre Macht erproben, Bundesgenossen abtrünnig werden, und seit einigen Monaten nun auch die Gaufürsten um Smendes von Men-Nefer den Aufstand proben. Überall bröckelten Recht und Ordnung, genau wie so manche Tempelmauer… und ganz offensichtlich waren die Gebete der Priester zu leise oder die Götter zu beschäftigt, um Abhilfe zu schaffen! Nun - ER war willig zu handeln!
Nach dem Abendritual hatte sich Amenemhat in seinen Arbeitsraum hier im Tempel begeben, und dort saß er jetzt seit Stunden. Die vor ihm auf dem steinernen Tisch stehende Lampe war dem Verlöschen nahe, aber er kümmerte sich nicht darum, Öl nach zu füllen. Das kleine, nach seinem Lebenssaft gierende Flämmchen betrachtend überlegte er, wie er auf die Nachrichten aus dem Delta reagieren sollte. Weder konnte er Streitwagen aus der Luft zaubern, noch Pharao Ramses zu mehr Feldherrnglück verhelfen.
Ich kann ihm allerhöchstens helfen, heimzukehren zu seinem Vater Amun-Ra… Wahrscheinlich eine Erlösung für den gichtgeplagten alten Geier…
Er hatte diesen Gedanken schon so oft gedacht, dass er jeglichen Geruch des Sakrilegs verloren hatte. Den Herrn der beiden Länder zu töten… ein Frevel, der die Grundfesten der Erde erschüttern könnte! Aber – waren sie das nicht längst? Das Flämmchen erzitterte ein letztes Mal und verging.
Ramses töten… doch beim augenblicklichen Stand der Dinge war selbst dies nichts, was ihn sehr viel weiter gebracht hätte. Im Gegenteil, ein Tod im Heerlager hatte immer Chaos im Gefolge und die Gaufürsten würden die Gunst der Stunde nutzen.
Amenemhat stand auf und trat an die kleine Fensteröffnung, die den Blick freigab auf den Säulenhof des Tempels. Seine rechte Hand strich über das Amulett auf seiner Brust, das jetzt im matten Mondschein leicht glänzte. Er trug es seit beinahe zehn Jahren. Seit zehn Jahren, vergegenwärtigte er sich düster, war er im Amt des Hohenpriesters und suchte nach einem Weg, sein nächstes erstrebtes Ziel zu erreichen. Zehn Jahre!
Seinen Vorgänger hatte er etwas rascher, als jener sicherlich geplant hatte, auf die Reise ins Totenreich geschickt. Und es war ihm anschließend nicht schwer gefallen, die Königliche Gemahlin zu überzeugen, dass er der richtige neue Mann im Amt des Ersten Dieners von Ipet-Isut sei, wahrhaftig nicht! Nefertari war das gierige kleine Biest geblieben, das ihn in der Nacht vor ihrer eigenen Hochzeit verführt hatte! So kindlich ihr Körper damals noch gewesen war - ihre Kunstfertigkeiten waren sehr erwachsen gewesen. Sie schien süchtig nach ihm seit jener ersten heftigen Vereinigung, die sie zur Frau und ihn zum Mann gemacht hatte. Und der alte
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