Der Skorpion
kleine Lichtung im Wald und der einzelne Baum dort, an den sie nackt gefesselt war – das stimmte mit den anderen überein. Aber das ist auch schon so ziemlich alles. Die Botschaft fehlte, der Stern über ihrem Kopf sah anders aus, ebenso das Seil, mit dem sie gefesselt war. Der Täter hatte eine kleinere Schuhgröße, ein weiterer Unterschied besteht darin, dass er sie getragen hat, statt sie barfuß durch den Wald zu treiben. Hier handelt es sich nicht um eine Weiterentwicklung der Vorgehensweise. Es ist eine völlig andere Tat.« Sie sah Alvarez an und kniff leicht die Augen zusammen, während sie nachdachte. »Ich möchte wetten, derjenige, der Jillian Rivers tot sehen will, hat versucht, uns auf eine falsche Spur zu locken. Er ist der Trittbrettfahrer.«
»Also brauchen wir ein Motiv«, dachte Alvarez laut.
»Genau. Wir sollten herausfinden, wer erbt, falls Ms. Rivers ein vorzeitiges Ende findet. Wahrscheinlich hat sie Vermögenswerte. Eine Lebensversicherung. Bankkonten. Rentenversicherung. Grundbesitz. Was auch immer. Mal sehen, ob sie ein Testament gemacht hat. Kinder hat sie nicht, oder?«
»Nur eine Mutter und eine Schwester mit ein paar Kindern.«
»Und einen Ex, der Anwalt ist, in diesem Bundesstaat lebt und vielleicht ihr Testament abgefasst hat, als sie noch verheiratet waren. Falls sie es nicht geändert hat, könnte er der Erbe sein. Vielleicht hat er irgendwie Wind davon bekommen, dass sie es ändern wollte?«
»Ein gewaltiger Gedankensprung«, bemerkte Alvarez. »Nur weil er ihr Ex ist …«
»Je nun, meines Erachtens ist nur ein toter Ex-Mann ein guter Ex-Mann.«
»Und die anderen Opfer?«
Pescoli furchte die Stirn. »Das ist ja das Problem. Nina Salvadore hatte eine kleine Lebensversicherung; Begünstigter war ihr Kind. Theresa Kelper und Mandy Ito hatten keine Versicherung, und ihr Grundbesitz ist, soviel wir wissen, nicht viel wert. Beide hatten kein eigenes Haus, ihre Fahrzeuge sind Schrott. Theresa Kelpers Ford Eclipse ist nicht mehr viel wert, und Mandy Ito hatte noch eine Menge an ihrem Prius abzuzahlen, also wird die Bank das Darlehen mit Hilfe der Versicherungssumme ablösen. Beide Frauen hatten kein Testament gemacht, also erbt Kelpers Mann alles, was sie hatte, und Mandy Itos Vermögen, sofern vorhanden, geht an ihre Eltern.«
»Ein Fahrzeug fehlt uns immer noch.«
Pescoli nickte. »Aber ich möchte wetten, wenn wir es finden, ist es vollständig ausgeräumt. Wie die anderen.«
»Und sämtliche Erben sind gramgebeugt?«
»Ganz recht. Wenn ich noch einen Anruf von Lyle Wilson bekomme, schreie ich.«
»Wilson? Theresa Kelpers Bruder?«
»Er glaubt offenbar, je öfter er anruft, desto schneller fassen wir den Mörder. Als ob wir auf der faulen Haut lägen, wenn er uns nicht antreiben würde.«
»Er fühlt sich hilflos und weiß nicht, was er tun soll.«
»Tja, er soll sich zurückhalten, zumindest das kann er tun.«
»Hast du ihm das gesagt?« Alvarez trank einen großen Schluck Tee. Die heiße Flüssigkeit linderte die Halsschmerzen.
»Nicht wörtlich, nein. Aber er hat kapiert.«
»Darauf möchte ich wetten.« Alvarez hustete und hätte beinahe den Tee überschwappen lassen.
»Hey, bist du etwa krank?«
»Nein. Vielleicht kündigt sich eine Erkältung an.«
»Die musst du im Keim ersticken.« Sie öffnete eine Schublade mit einer Sammlung von rezeptfreien Medikamenten. »Ich habe alles, was du brauchst … Nimm etwas von dem Zeug, das nicht müde macht.« Sie suchte eine Packung Hustentabletten und ein Röhrchen Ibuprofen heraus.
»Das ist ja wie in einer Apotheke«, sagte Alvarez.
»Ja, ich weiß, aber ich kann es mir einfach nicht leisten, krank zu werden.« Sie warf Alvarez die Medikamente zu, die sie auffing, ohne ihren Tee zu verschütten. »Und du auch nicht.« Sie sah auf ihre Uhr. »Mach dich bereit, in einer halben Stunde haben wir eine Konferenz. Die Telefonleitungen im Gruppenraum laufen heiß, das FBI geht eigene Wege, und Grayson muss eine Presseerklärung abgeben.«
»Na dann viel Spaß«, brummte Alvarez, entnahm der Tablettenpackung eine Blisterfolie und drückte eine Pille heraus. Gewöhnlich hielt sie nicht viel von rezeptfreien Medikamenten, aber heute war sie bereit, sich auf alles einzulassen.
»Spaß?« Pescoli streifte ihre Partnerin mit einem Blick. »Du solltest wirklich öfter mal ausgehen.«
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25. Kapitel
J illian benötigte fast zwei Stunden, um ihre Entlassung aus dem Krankenhaus durchzusetzen.
Dr. Haas, groß,
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