Der Skorpion
Unbekannten im Krankenhaus sprechen können?«
»Nein«, antwortete Zoller. »Sie ist immer noch bewusstlos, aber wir haben sie als Donna Estes identifiziert. Neunundzwanzig, Sekretärin in einer Versicherungsgesellschaft, geschieden, keine Kinder. Wohnte mit einer Zimmergefährtin in Butte. Ein Chevrolet Impala, ebenfalls vermisst, ist auf Donnas Namen registriert.«
Cort Brewster fügte hinzu: »Und sie ist das einzige überlebende Opfer, die einzige Person, die dieses Schwein identifizieren könnte.«
Der Sheriff nickte. »Jemand muss nach Missoula fahren und zur Stelle sein, wenn sie aufwacht.«
»Falls sie aufwacht.« Brewster erhob sich, schob die Hände in die Taschen und schüttelte den Kopf. Pescolis Blick wich er unübersehbar aus, und sie schien ihn ebenfalls zu ignorieren. Alvarez konnte es ihr nicht verübeln; sie hatten Wichtigeres zu bedenken. Die Bilder der vermissten Frauen, sämtlich potenzielle Opfer dieses Verrückten, gingen ihr unter die Haut. Hockten einige von ihnen in diesem Moment in einer fensterlosen Höhle, als Sklavinnen missbraucht oder …?
Aber nicht als Sex-Sklavinnen. Keine der Leichen wies Spuren von Vaginaltrauma oder Geschlechtsverkehr auf. Was für ein Spiel trieb dieser Wahnsinnige?
»Das hier ist alles, was wir haben«, sagte Halden. »Ich habe daran gearbeitet.« Er legte Seite um Seite mit den an den Tatorten hinterlassenen Sternen vor, sämtlich auf hauchdünnem Seidenpapier. »Wenn Sie genau hinschauen, stimmen sie damit überein …« Er zog ein weiteres, dickeres Blatt Papier aus seiner Aktentasche, strich es glatt und legte den Stapel der Stern-Zeichnungen darüber. Alle Sterne bis auf einen passten perfekt aufeinander. »Das hier ist der Stern, den wir bei Jillian Rivers gefunden haben. Er hat nicht nur eine abweichende Form, sondern passt auch nicht in die Konstellation.«
»Welche Konstellation?«, fragte Pescoli.
»Orion.« Alvarez erkannte den vertrauten Umriss. »Der Jäger.«
Sie sah, wie Pescoli sich versteifte. »Er hält sich für einen Jäger? Schießt Reifen entzwei und behält seine Opfer bei sich, bis er sie im Wald aussetzt?«
»Vielleicht …?« Alvarez sah Halden an. »Wenn es hier um Jagen und Töten geht, warum erschießt er sie nicht einfach, wenn sich die Gelegenheit ergibt?«
»Wenn wir die Buchstaben umsortieren, sagen sie dann etwas über Jagen oder Orion aus?«, regte Alvarez an. Halden legte eine Kopie der Botschaft auf den Tisch. Die großen Blockbuchstaben waren für alle erkennbar.
M ID T DE SK N Z
»Noch nicht«, sagte er. »Das Büro arbeitet noch daran.«
Halden referierte noch eine Weile über die Sterne und die Buchstaben, und die FBI -Agenten erklärten sich bereit, nach Missoula zu fahren und mit Donna Estes’ Ärzten und Verwandten zu reden. Alle hofften darauf, dass sie aufwachte und die Identifizierung des Mörders erleichterte. Als die Konferenz beendet war, verließ Alvarez den Raum mit dem Gefühl, dass sie der Verhaftung des Mörders seit dem Fund von Theresa Kelpers Leiche vor Monaten wieder keinen Schritt näher gekommen waren.
Joelle kam ihr mit einem Teller zuckergussverzierter Plätzchen entgegen: fröhliche Weihnachtsmanngesichter, Schneemänner mit Rosinenaugen, Stechpalmenkränze mit glänzend grünem Guss und kleinen roten Herzchen, die aussahen wie Beeren. »Ich dachte, wir alle könnten eine kleine Aufheiterung brauchen«, sagte sie.
»Danke«, antwortete Alvarez und nahm sich ein Rentier mit roter Herzchennase, die viel zu groß war für seinen kleinen Kopf. Der arme Rudolph sah aus, als benötige er dringend eine plastische Nasenoperation. Schlimmer noch, das Plätzchen zerbröselte einfach zwischen den Fingern.
Joelle bemerkte es nicht. Sie bot den Polizisten, die aus dem Raum kamen, den Teller an, dann schritt sie wichtigtuerisch den Flur entlang, ging mit klickenden Absätzen und schaukelnden Ohrringen in die Küche, wo sie Kaffee aufbrühte und den Teller mit den selbstgebackenen Plätzchen auf dem Tisch zurückließ.
»Fröhliche Weihnachten«, wünschte sie allen, bevor sie zur Eingangstür hinauseilte und sich durch die Schar der Reporter auf der Treppe drängte. Joelle gehörte nicht zum Team der Ermittler, daher erwartete man auch nicht von ihr, dass sie an ihren freien Tagen arbeitete.
»Was für eine Marke«, flüsterte Pescoli und biss einem Weihnachtsmann die Mütze ab.
»Sie will einfach nur für gute Laune sorgen.«
»Während der Ermittlungen in einem Serienmordfall?«
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