Der Skorpion
Gleichgewicht zu halten. Aber wenn er läuft, zieht er es wahrscheinlich hoch und galoppiert auf drei Beinen.« Sie warf MacGregor einen Blick zu. »Er wird gesund. Keine Sorge. Den Kaninchen wird er noch genauso zusetzen wie vorher.«
»Was auch nicht der Rede wert war«, sagte MacGregor. »Er ist ein guter Jäger, wüsste aber nicht, was er mit einem Kaninchen anfangen sollte, wenn er mal eins erwischte.«
Sie lachte, und in den Augenwinkeln bildeten sich feine Fältchen. Sie war gebräunt, schlank und trug das schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, der ihr bis auf den halben Rücken reichte. Wie sie einen achtzig Pfund schweren Deutschen Schäferhund oder eine verängstigte Stute beim Fohlen bezwingen konnte, war Jillian ein Rätsel. Trotzdem machte die Tierärztin Jordan Eagle einen überaus tüchtigen Eindruck.
»Hier ist er.« Sie führte sie einen gut beleuchteten Flur entlang zu einem Untersuchungsraum, dann öffnete sie eine Tür zu einem geräumigeren Bereich, wo Harley in einem großen Käfig lag. Mit trüben Augen blickte er durch die Gitterstäbe, doch Jillian hörte, dass er ein paar Mal mit dem Schwanz über den Boden fuhr.
»Hey, Freundchen«, sagte MacGregor und öffnete die Käfigtür, um seinen Hund zu streicheln. Harley hechelte mit hängender Zunge und wedelte kurz noch energischer mit dem Schwanz. »Kümmert sich die Frau Doktor gut um dich?«
Jillian war sehr gerührt. Wenngleich sie und der Spaniel einander zunächst mit Misstrauen begegnet waren, war ihr dieser Hund inzwischen doch ans Herz gewachsen, und es tat ihr furchtbar leid, dass er ihretwegen angeschossen worden war.
»Wie gesagt, er wird gesund. Er ist ein verflixt zäher Bursche«, sagte Jordan, als Jillian sich herabbeugte, um dem Hund den Kopf zu kraulen. Harley schaffte es sogar, für sie mit dem Schwanz zu wedeln, was sie ihre Schuldgefühle noch deutlicher empfinden ließ.
»Du gibst also auf ihn acht?«, fragte MacGregor.
»Ganz bestimmt.«
Jillian verspürte leise Eifersucht angesichts der Vertrautheit der beiden. Es war lächerlich, aber sie konnte sich nicht dagegen wehren.
»Ich rufe an und sehe wieder nach ihm.«
»Wohin willst du?«, fragte Jordan und warf Jillian einen Blick zu, als würde ihr plötzlich bewusst, dass zwischen dieser Frau mit der Krücke und MacGregor womöglich mehr als Freundschaft bestünde.
»Bin noch nicht sicher, aber ich melde mich.«
»Das höre ich nicht zum ersten Mal.«
»Im Ernst, ich melde mich.«
Jordan blieb unter der Tür stehen. »Das will ich dir raten, sonst behalte ich Harley als Geisel.« MacGregor lächelte und half Jillian in den Pick-up. »Ja, klar. Als ob du ihn haben wolltest«, sagte er und ging zur Fahrerseite. »Danke, Jordan.«
»Gern geschehen.« Sie lächelte ihn versonnen an.
»Sie ist in dich verliebt«, sagte Jillian, als MacGregor den Rückwärtsgang einlegte und die Tierärztin in der Klinik verschwand.
»Glaube ich nicht.«
»Quatsch. Du weißt es so gut wie ich.«
»Sie ist verheiratet.«
»Darum geht es nicht. Hast du eine Affäre mit ihr?«
»Nein.« Er steuerte den Pick-up auf die Straße hinaus, wo sich das Sonnenlicht auf dem nassen Pflaster spiegelte.
»Aber du hattest eine.«
»Vor langer Zeit.« Er blinzelte gegen die grelle Sonne. »Schau ins Handschuhfach. Sieh nach, ob du dort eine Sonnenbrille findest.«
»Und was ist passiert?« Sie kramte in losen Papieren und alten Lappen und dem Handbuch für den Pick-up. »Nichts.«
MacGregor griff hinter die Sonnenblende und fand die Brille. »Kannst du sie bitte putzen?«
»Klar.« Sie rieb die verstaubten Gläser mit dem Saum ihres Pullovers. »Also, was ist passiert? Mit der Tierarztlady?«
»Tierarztlady. Das würde ihr gefallen. Es nahm seinen Lauf. Sie wollte mehr, als ich zu geben bereit war, und dann hat sie einen anderen gefunden.«
»So einfach.«
Ein Grübchen erschien in seiner Wange, als er ironisch und ein wenig bedauernd lächelte. »Tja, so einfach ist das nicht, aber ich schätze, das weißt du selbst. Schließlich warst du schon zweimal verheiratet.«
Jillian hätte gern noch mehr Fragen gestellt, doch er wehrte sie erfolgreich ab. Er zog sie auf und verlangte gleichzeitig, dass sie das Thema ruhen ließ. Seine Vergangenheit gehörte ihm. Hatte nichts mit ihr zu tun. Und doch … Sie setzte sich bequemer auf der Sitzbank zurecht und blickte aus der Frontscheibe, die anscheinend seit der Jahrtausendwende nicht gereinigt worden war. Das Glas war fleckig,
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