Der Skorpion
und dann … nichts mehr. Sie hatte so eine Ahnung, dass sie wild entschlossen gewesen war. Vielleicht sogar wütend. Was sie nicht weiter überraschte, falls die Sache irgendwie mit ihrem Ex zusammenhing.
»Klasse«, sagte sie leise, nicht in der Lage, weitere greifbare Erinnerungen heraufzubeschwören. Nicht, dass es wirklich wichtig gewesen wäre. Warum sie sich auf dieser überstürzt angetretenen Reise befand und wohin sie wollte, das war nicht von Bedeutung. Lebenswichtig war jetzt, aus dieser Schlucht herauszukommen und wieder in Sicherheit zu sein.
»Was soll ich nur tun?«, flüsterte sie zitternd. Ihr Atem stand wie eine Nebelwolke in der eiskalten Luft.
Jeder Blick nach oben, an die steile Felswand, ließ nur neue Verzweiflung in ihr aufsteigen. Falls dort oben die Straße verlief, weit oberhalb von diesem eingefrorenen Bachbett, wie sollte sie es dann jemals schaffen, diese Wand aus Fels und Eis hinaufzugelangen? Diesen Berg könnte sie nicht erklimmen, selbst wenn sie unverletzt, bei bester Gesundheit und den arktischen Temperaturen entsprechend gekleidet wäre und über eine Kletterausrüstung verfügt hätte.
Denk nach, Jillian. Denk nach! Es muss doch einen anderen Ausweg geben!
Fest in die Decke gewickelt, nahm sie das Bachbett ausführlich in Augenschein. Gab es einen Weg oder eine Straße oder sonst eine Möglichkeit, aus dieser Schlucht in die Zivilisation zu entkommen? Vielleicht konnte sie dem Bachlauf bergab folgen.
O ja, ganz recht, Einstein. Mit einem womöglich gebrochenen Knöchel? Mit einem Bein, das dich vor Schmerzen aufheulen lässt, wenn du es nur einen Zentimeter bewegst? Sieh den Tatsachen ins Gesicht, ohne Hilfe kommst du hier nicht raus.
»Mist.« Sie drückte noch einmal auf die Hupe. Drängend. Voller Panik. Verzweifelt. Die scharfen Töne hallten durch die verschneite Schlucht.
Doch es war sinnlos, und sie wusste es. In ihren eigenen Ohren klang das wilde Hupen wie das verlorene Blöken eines verängstigten Schafs.
Erbarmungswürdig.
Doch es war alles, was sie tun konnte.
Während sie weiterhin die Hupe betätigte, schrie sie so lange, bis sie heiser war, in der Hoffnung, der armselige Lärm und das Licht der verlöschenden Scheinwerfer würden auf sie aufmerksam machen. Doch kein Motorengeräusch ertönte zur Antwort, keine Rufe von Rettungstrupps waren zu hören, kein
Wapp, Wapp, Wapp
von Hubschrauberrotoren übertönte das Brausen des Windes.
Nein … Sie war allein.
In dieser gottverlassenen Wildnis, in der hereinbrechenden eiskalten Nacht, war sie allein, beängstigend allein.
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5. Kapitel
D u bist zum Kotzen!«, schimpfte Bianca leise. Jeremy lag auf dem Sofa und sah MTV .
»Selber!«, gab er zurück und schob sich noch eine Handvoll Studentenfutter in den Mund.
»Im Moment finde ich euch beide zum Kotzen«, meldete sich Regan aus der Küche. »Und damit ihr’s wisst, ich kann diesen Ausdruck nicht leiden. Könnt ihr euch nicht mal eine andere Beleidigung ausdenken? Eine etwas intelligentere?«
»Ach, Mom, stell dich nicht so an.« Bianca ließ sich in einen Sessel fallen. Die rotblonden Locken tanzten um ihr kleines Gesicht. Ein paar Sommersprossen, die sie verzweifelt mit Make-up zu überdecken versuchte, sprenkelten die Nase, und ihre großen braunen Augen waren von dichten dunklen Wimpern gerahmt. Sie sah eben genauso aus wie ihr Vater.
Cisco sprang auf Biancas Schoß. Gewöhnlich liebte und verwöhnte sie den Hund, doch im Augenblick hatte sie, wie so oft, schlechte Laune und schob Cisco mit finsterer Miene zurück auf den Boden. Er setzte sich auf den abgetretenen Teppich und neigte den Kopf von einer Seite zur anderen, als versuchte er, die Kleine zu verstehen, die ihn mit all ihrer Liebe überschüttet hatte, bevor sie sich verliebte.
»Ich kann’s nicht ändern, Bianca, ich neige von Natur aus dazu, mich anzustellen. Es ist genetisch bedingt, und deshalb hast du diese Veranlagung auch in deinen Genen.« Regan zupfte eine vorzeitig verwelkte Blüte vom Weihnachtskaktus vor dem Blumenfenster.
Bianca verdrehte die Augen, als wäre ihre Mutter die unmöglichste Person auf der ganzen Welt. »Ich will doch nur mal kurz rüber zu Chris. Als ob das so eine große Sache wäre.«
»Draußen tobt ein Schneesturm, falls dir das entgangen sein sollte. Ich selbst gehe nur raus, weil ich muss.« Regan mummelte sich warm genug ein, um den Elementen trotzen zu können. Sie nahm ihre Strumpfmütze und die Handschuhe vom Tisch, wo sich seit Tagen
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