Der Skorpion
Hand. Wutschnaubend ging sie in die Küche, ließ Cisco nach draußen, damit er sein Geschäft erledigte, und sah nach, ob er noch genug frisches Wasser hatte. »Hast du den Hund gefüttert?«, rief sie über die Schulter hinweg und erhielt zur Antwort nur wütendes, dumpfes Schweigen aus Biancas Zimmer. Augenscheinlich wurde sie mit Nichtachtung gestraft. Na schön. Das war besser, als immer nur Widerworte zu hören. Als der Terrier an der Tür kratzte und wieder ins Haus wollte, wählte Pescoli die Handynummer ihres Sohnes und öffnete die Tür. Ein Schwall kalter Luft wehte mit dem Hund ins Haus.
Jeremy meldete sich nicht. Aber das tat er ja nie. Warum sollte es ausgerechnet heute anders sein? Der Junge war aufsässig.
Und wessen Schuld ist das, hm? Wer hat ihm als Kind wegen der Schuldgefühle nach Joes Tod alles durchgehen lassen?
»Mist«, fluchte sie leise und hinterließ keine Nachricht auf der Mailbox, sondern schrieb eine SMS , was sie zwar hasste, aber diese Nachricht würde ihr Sohn wenigstens lesen:
Komm nach Hause. Sofort, xoxo Mom.
»Das sollte reichen, oder?«, sagte sie zu dem Hund, und dann, als sie aus Biancas Zimmer Geräusche hörte, die auf Sachenpacken schließen ließen, schenkte Pescoli sich eine Cola light ein, gab Eiswürfel dazu und setzte sich aufs Sofa. Cisco, der seine kärgliche Trockenmahlzeit verzehrt hatte, sprang auf das dicke Polster neben ihr und wartete, während sie seinen zottigen Kopf kraulte. »Fühlst du dich vernachlässigt?«, fragte sie den Hund. »Willkommen im Club.«
Er sprang auf ihren Schoß, stemmte die Pfoten gegen ihre Brust und schleckte ihr Gesicht ab.
»Langsam, langsam, das reicht jetzt. Ich bin zwar alleinstehend, aber weiß Gott nicht so verzweifelt.«
»Nein, wie eklig«, sagte Bianca, die mit einem prall gefüllten Rucksack aus ihrem Zimmer kam.
»Wie wär’s mal mit Humor?«, riet Pescoli ihr, und endlich brachte Bianca ein Lächeln zustande.
»Schon gut, schon gut«, sagte sie. »Kann ich jetzt vielleicht mal …«
Pescoli warf ihrer Tochter das geliebte Handy zu. »Hast du deine Hausaufgaben dabei?«
»Ja.« Ausnahmsweise einmal verdrehte Bianca nicht die Augen. Sie beugte sich sogar herab und tätschelte Ciscos Kopf. »Und was hast du dieses Wochenende vor?«
»Da draußen treibt ein geisteskranker Killer sein Unwesen.«
»Ach, Arbeit?«
»Die Kandidatin hat tausend Punkte.« Regan trank einen tiefen Zug aus ihrem Glas und betrachtete die Eiswürfel, wie sie in der dunklen Flüssigkeit tanzten und klirrten.
»Hast du das nicht irgendwann mal satt?«
»Hm. Immer noch besser, als acht Stunden am Schreibtisch zu sitzen. Oder zu kellnern. Hab ich alles schon gemacht.«
Bianca rümpfte die Nase. »Na, ich weiß nicht. Du kriegst ziemlich eklige Sachen zu sehen.«
»Eklig und total entmutigend. Da fragt man sich, was eigentlich mit dem gesamten Menschengeschlecht schiefgegangen ist.«
»Warum tust du’s trotzdem?«
»Jemand muss es ja tun.«
»Aber warum ausgerechnet du?«
»Weil ich gut bin in meinem Beruf.« Und weil sie ihren Beruf im Grunde genommen liebte. Weil er ihr Leben war. Auf ihre Art war sie genauso ein Workaholic wie Alvarez. Sie sahen ihre Arbeit nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Pescoli lächelte ihre Tochter an und nahm sie in den Arm. »Ich gebe mir Mühe, mich nicht unterkriegen zu lassen.« Sie warf einen Blick auf den stumm geschalteten Fernseher und sah ein Interview mit Ivor Hicks auf dem Bildschirm. »O nein.«
»Was?«
»Jemand hat die Irren rausgelassen.« Regan hörte Motorengeräusch von einem schweren Pick-up und wappnete sich für die unvermeidliche Begegnung mit Lucky. Nachdem sie heute schon den arroganten Mason Rivers über sich ergehen lassen musste, war sie nicht in der Stimmung, ihren Ex zu sehen. »Dad ist da«, sagte sie, und Biancas Miene hellte sich sichtlich auf. Ja, die Kleine liebte ihren Vater. Was wahrscheinlich gut so war, aber es ärgerte Pescoli trotzdem ein wenig.
Bianca warf ihr einen Blick zu. »Sagst du ihm Bescheid wegen Jeremy, oder soll ich?«
»Ich mach das schon.«
Jillian hörte MacGregors Schlüssel in seiner Tasche klimpern. Sie brauchte ihn nur noch rauszuholen, wenn er schlief, oder? Doch sie behielt ihre Gedanken für sich und fragte: »Leben Sie hier das ganze Jahr über?«
»Manchmal.«
»Und was tun Sie?«
Er zögerte kurz und blickte über ihre Schulter hinweg. »Angeln, Jagen, im Sommer arbeite ich als Guide für Wildwasserfahrten.«
»Und im
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