Der Skorpion
Welten. Michelle war größtenteils freundlich, nur eben nicht die Hellste, sie gehörte zu der Sorte Frauen, die erwarteten, dass ihr Mann alles für sie tat, die Sorte, die Regan nicht mochte und der sie nicht über den Weg traute.
Aber es war nun mal so. Ob es Regan passte oder nicht, Michelle war über Lucky und die Kinder zum Teil ihres Lebens geworden.
Was sie maßlos ärgerte.
Sie stellte ihr Getränk ab, ging durch das kleine Wohnzimmer zur Haustür und öffnete sie, als Lucky gerade begann, auf dem winzigen Terrassenplatz davor, den irgendein Bauherr als Eingangsplattform vorgesehen hatte, den Schnee von seinen Stiefeln zu stampfen.
»Sind alle startbereit?«, fragte Lucky und sah sie mit seinen Pescoli-Augen durch die Glasscheiben der Sturmschutztür an. Tiefliegend und nussbraun, fast blau, und verteufelt sexy waren sie. Lucky ebenfalls. Lucky Pescoli, groß und durchtrainiert, mit dichtem, fast blondem Haar und einer verwegenen Art, die Frauen in den Wahnsinn trieb, war ein gutaussehender Mann. Und unausstehlich.
»Jeremy ist nicht zu Hause. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist.«
»Ich hab’s dir doch gesagt«, mischte Bianca sich ein. Ihr weicheres Ich verflüchtigte sich in der Gegenwart ihres Vaters. »Er will nicht mit.«
»Hat er einen Grund angegeben?«
»Er sagte, du bist nicht sein richtiger Dad.«
»Das ist doch nichts Neues«, sagte Lucky. Der Blick, den er seiner Ex-Frau zuwarf, schien fragen zu wollen: Ist das zu fassen? »Ist was passiert?«
Regan schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste, aber wer kann das schon sagen? Er ist siebzehn, woran er mich unentwegt erinnert. Er hält sich für erwachsen und glaubt, tun und lassen zu können, was er will.«
»Da täuscht er sich«, gab Bianca von ihrem Zimmer aus ihren Senf dazu.
Lucky schob seinen schwarzen Filzhut aus der Stirn und fragte: »Soll ich ihm den Kopf zurechtsetzen?«
»Nein. Überlass das mir«, antwortete Regan. »Ich rufe dich an und lasse dich wissen, was er gesagt hat.«
Er nickte. Bianca drängte sich durch die Tür und lief zum Pick-up. Michelle, strahlend und aufgeräumt, winkte wild und hatte ihr Schönheitswettbewerbslächeln aufgesetzt.
»Wie geht es mit dem Serienmordfall voran?«, fragte Lucky.
»Es geht«, wich sie aus. Lucky wusste, dass sie nicht darüber reden durfte.
»Na ja, nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen. Ich weiß, wie das mit solchen Fällen ist. Nimm es einfach nicht zu persönlich.«
»Nicht? Ein Psychopath, der quasi in meinem Garten Frauen umbringt?« Sie sah zu, wie ihre Tochter in den Pick-up stieg. »Tut mir leid, Lucky, ich nehme so etwas nun mal persönlich. Sehr persönlich sogar.«
Er verzog das Gesicht. »Manche Dinge ändern sich nie.«
»Nein. Und das sollten sie auch nicht!«
»Okay, okay, ich gebe auf, Officer!« Er hob die Hände und wich in gespielter Kapitulation einen Schritt zurück. Beinahe hätte sie gelacht. Beinahe. »War nicht meine Absicht, den Finger in die Wunde zu legen«, sagte er und rückte wieder seinen Hut zurecht. »Lass mich wissen, was mit Jeremy los ist.«
»Mach ich. Und achte darauf, dass Bianca ihre Hausaufgaben erledigt. In Algebra II und Global Studies ist sie ganz schlecht. Und ich glaube, sogar in Englisch hat sie zu kämpfen, und das ist ihr doch immer leichtgefallen.«
»Tatsächlich?«, fragte Lucky. »Wir kümmern uns darum. Michelle war eine Musterschülerin.«
Nachhilfe von der Frau, die nichts von Hausarbeiten hielt? Regan war skeptisch, behielt ihre Zweifel aber für sich. »Gut. Soll sie Bianca helfen«, sagte Regan und biss die Zähne zusammen.
Irgendwie schaffte sie es, zu nicken, zu lächeln und ansatzweise ihrer Tochter, ihrem Ex-Mann und dessen neuer Frau nachzuwinken. Sie schloss die Tür hinter sich und verspürte eine innere Leere. Sie wusste, es war albern, aber es ließ sie nicht unberührt zu sehen, wie Bianca so einfach in Luckys neue Familie integriert wurde. Und dass Bianca ihr immer vorhielt, wie viel Spaß sie bei ihrem Vater hatte, störte Regan auch gewaltig.
Aber damit musste sie leben.
Sie warf einen Blick auf den Fernseher und war froh, Ivor Hicks nicht mehr auf dem Bildschirm zu sehen. Herrgott, konnte denn kein Mensch diesen Spinner zum Schweigen bringen? Er würde die Öffentlichkeit in Panik versetzen, die Presse alarmieren und womöglich dem Mörder in die Hände spielen. Zweifellos bekam der Perverse, der sich daran aufgeilte, Frauen erfrieren zu lassen, auch einen Kick bei so viel
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