Der Skorpion
unsinnig.«
»Sollte nur dazu dienen, dich hierherzulocken«, wiederholte er, »damit irgendwer dich umbringen kann?«
»Das klingt … lächerlich, oder?«
Er zuckte die Achseln, blieb auf seinen Fersen hocken und runzelte die Stirn. »Ich bin Jäger. Ich war beim Militär. Es gibt viele Möglichkeiten, einen Menschen umzubringen, und zwar rasch und vielleicht sogar, ohne geschnappt zu werden, aber einen Reifen zerschießen und darauf hoffen, dass der Wagen in eine vereiste Schlucht stürzt, das ist doch ziemlich unsicher.«
»Wie mein Hiersein ja beweist«, pflichtete sie ihm bei.
»Ganz recht, und der Mörder weiß, dass du überlebt hast. Das heißt, ich nehme doch an, dass er im Wagen nachgesehen hat.«
»Vielleicht auch nicht. Womöglich glaubt er, er hätte ganze Arbeit geleistet.«
»Oder ich habe ihn verscheucht.«
»Warum hat er Sie dann nicht auch einfach erschossen?«
»Vielleicht hatte er keine Gelegenheit zu schießen. Und überhaupt, wir können nicht davon ausgehen, dass du sein beabsichtigtes Opfer warst. Wie du schon sagtest, in dieser Gegend sind Frauen ermordet worden. Mehrere, glaube ich, und auch die sind, wie du, von der Straße geschleudert. Einzelheiten weiß ich allerdings nicht.«
»Wir haben schon mal über diesen Serienmörder gesprochen«, erinnerte sie ihn und versuchte, die Panik, die in ihr aufstieg, nicht zu beachten. »Wollen Sie sagen, dieser Mörder
kennt
seine Opfer oder doch zumindest genug intime Einzelheiten aus ihrem Leben, um sie hierherlocken zu können?« Sie konnte nicht fassen, was sie da aussprach, und doch … »Kennen Sie die Namen der anderen Frauen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Warum? Glaubst du, es könnte sein, dass du sie kennst?«
Sie blickte nervös zum Fenster und hinaus in die dunkler werdende Landschaft. »Ich glaube, einen Namen habe ich gelesen, aber da hat nichts bei mir geklingelt.« Sie zwang sich, ihm direkt in die Augen zu sehen. Wie sollte sie wissen, dass er nicht der Mörder war? Dass er nicht mit ihr spielte? Es kam ihr nicht so vor. Er wirkte vielmehr geradezu besorgt. Sie schluckte verkrampft. Durfte sie diesem Mann trauen? Hatte sie denn eine Wahl?
Die Antwort lautete nein.
Ob es ihr passte oder nicht, sie saß hier fest, zumindest für eine gewisse Zeit. Aber sie musste ja nicht bleiben. Wenn sie erst wieder auf den Beinen war, wenigstens einigermaßen laufen konnte, und das Unwetter sich legte … Er hatte etwas von einem Schneemobil gesagt. Sie hatte schon mal eines gefahren, als sie und Aaron Skiurlaub in Colorado gemacht hatten. Falls es hart auf hart kam, würde sie das Ding einfach anwerfen und zurück in die zivilisierte Welt steuern. Sie benötigte nur den Schlüssel.
Mason Rivers war nicht unbedingt ein guter Mensch.
Einer, der etwas zu verbergen hat, dachte Pescoli, als sie, das Handy am Ohr, in ihre Zufahrt einbog. Sie war gerade durch den Schneesturm nach Hause gefahren, um sich zu vergewissern, dass die Kinder alles Nötige für das Wochenende bei ihrem Vater eingepackt hatten. Im Haus brannte Licht, aber Jeremys Pick-up stand nicht am gewohnten Platz.
»Meine Sekretärin sagt, Sie hätten versucht, mich zu erreichen«, sagte Rivers vorsichtig nach kurzer Vorstellung.
Ach wirklich, Sherlock?,
dachte Pescoli, behielt es aber für sich.
»Sie haben von Ihrer Ex-Frau gehört?« Regan drückte die Taste des Garagentoröffners.
»Ich war nicht in der Stadt, aber ein Kollege brachte die Zeitung mit. Darin stand, dass ihr Wagen am Grund einer Schlucht gefunden wurde.«
»Stimmt.«
»Geht es ihr gut?«, fragte er. Langsam öffnete sich das Garagentor.
»Das wissen wir nicht. Wir können sie nicht finden.«
Eine Pause folgte, die Stille wurde nur gestört durch das Knirschen des Garagentors und den laufenden Motor des Jeeps.
»Wir dachten, Sie hätten vielleicht eine Ahnung, wohin sie wollte oder wo sie war.« Tatsache war, dass die Gruppe, die die Nachforschungen wegen des Unfalls betrieb, Stunden auf dem Bergkamm verbracht hatte, von wo aus Jillians Auto abgestürzt war. Sie hatten zwar die Richtung bestimmen können, aus der der Wagen herunterkatapultiert worden war, doch wegen der Schleuderbewegungen war nicht zu erkennen, in welcher Richtung sie unterwegs gewesen war. Ein leerer Kaffeebecher vom Chocolate Moose Café in Spruce Creek diente als Hinweis, und eine Kellnerin erinnerte sich an Jillian, da sie eine der wenigen Kunden gewesen war, die an jenem Tag etwas »zum Mitnehmen« bestellt hatten.
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