Der Skorpion
Publicity.
Ihre gute Laune war endgültig dahin. Sie schaltete den Fernseher aus und ging nach unten. Noch einmal versuchte sie, Jeremy per Handy zu erreichen, und während sie Wäsche in die Maschine lud, hörte sie, wie sich gleich nach dem Klingeln die Mailbox meldete. Die Waschmaschine pumpte Wasser, und sie warf einen Blick in Jeremys Zimmer, die »Lasterhöhle«, und fragte sich, wo ihr Sohn stecken mochte. Ihr Blick blieb an einem Foto von Joe hängen, zwischen CD s und Videospielen im Regal halb verborgen. Joe Strand, ihre Jugendliebe, der Mann, dem sie ihre Unschuld geopfert hatte, der Mann, den sie geheiratet hatte, der Mann, den sie, als es brenzlig wurde, betrogen hatte. Ja, da hatten sie sich bereits getrennt, und ja, auch er hatte eine Affäre gehabt, doch sie hatte ihr Treuegelöbnis ziemlich bereitwillig gebrochen, beinahe aus Rache.
Das war lange her. Sie hatte kaum das College hinter sich und war schon schwanger. Mit Joes Sohn. Jeremy.
Natürlich hatte Joe seine Vaterschaft angezweifelt, bis Jeremy dann als Ebenbild ihres Noch-Ehemanns auf die Welt kam. Es dauerte ein paar Monate, bis sie dann doch beschlossen, ihrer Ehe noch eine Chance zu geben.
Und dann hatte Joe die Frechheit besessen zu sterben. Es geschah im Einsatz, und sie blieb als Witwe mit einem kleinen Kind zurück.
Das Schlimmste war, dass Joe die Frau, die ihre Ehe überhaupt erst zerstört hatte, nie aufgegeben hatte. Er hatte gelogen, als er behauptete, die Affäre wäre zu Ende; er hatte nie richtig Schluss gemacht mit dieser Frau, die auf der Highschool zu Regans Freundinnen gezählt hatte.
Gina Walters, ebenfalls verheiratet, war zum Begräbnis erschienen, hatte sich die Augen ausgeheult und eine weiße Rose auf den Sarg gelegt, während Pescoli danebenstand, ihren kleinen Sohn an der Hand.
»Miststück«, zischte sie jetzt und ignorierte die Waschmaschine, die im Schleudergang wild zu schaukeln begann. Sie stieg die Treppe hinauf, bereitete sich mit einem Rest Schinken, Dijon-Senf und trockenem Brot rasch ein Sandwich, warf Cisco ein paar Brocken zu und trank noch eine Cola light, bevor sie das Haus verließ.
Mittlerweile war es schon beinahe dunkel, und sie musste zurück aufs Revier, doch als sie den Türöffner der Garage betätigte, fragte sie sich erneut, wo zum Kuckuck ihr Sohn stecken mochte.
»Ich glaube, das Wetter schlägt um«, sagte MacGregor, gab eine heiße Kelle von etwas Chiliartigem in eine Suppenschale und reichte sie Jillian.
»Wann?«
»Bald.«
»Wie bald?«
»Das ist die Tausend-Dollar-Frage, nicht wahr?« Er ging in die Küche und kramte in einer Schublade. Nach knapp einer Minute kam er zurück, reichte ihr einen Löffel, ging dann zurück zu dem Topf auf dem Feuer und füllte eine Portion Chili in eine zweite Schale. Eine Fertigmischung Maisbrot »buk« in einer halb in den glühenden Kohlen vergrabenen Pfanne und brannte an den Rändern bereits an.
»Woher wissen Sie das? Haben Sie hier irgendwo einen Fernseher an einen Generator angeschlossen? Oder verfügen Sie über einen direkten Draht zum Wetterdienst?«
»Es ist nur so ein Gefühl.« Er sah durchs Fenster hinaus in die Schneelandschaft. Die Dunkelheit brach rasch herein, die Bäume warfen lange Schatten, und die Hütte wirkte einsamer denn je.
»Ein Gefühl?« Jillian hielt die Suppenschale mit einer Hand und rührte das Chili um. Der würzige Dampf wärmte ihr Gesicht. Ihr ging es bereits ein bisschen besser, das Pochen im Knöchel ließ nach, der Schmerz im Brustkorb trat nur noch auf, wenn sie sich zu hastig bewegte oder zu heftig lachte. Aber auf »Gefühle« wollte sie sich nicht verlassen.
»Es ist Zeit. Der Sturm müsste sich legen.«
Sie sah aus dem Fenster und schüttelte den Kopf, wagte es nicht, an Wunder zu glauben, zumal in ihren Augen keinerlei Anzeichen für ein Nachlassen des Sturms zu erkennen waren. Sie aß einen Happen. Dieses Dosen-Chili schmeckte ihr geradezu köstlich. Sie nahm noch einen Löffel voll und beobachtete MacGregor am Feuer. Mit Hilfe eines Arbeitshandschuhs als Topflappen holte er das Maisbrot aus dem Feuer und schnitt ihr mit dem Messer, das sie ihm entwendet hatte, ein Stück ab. Er ließ das große Rechteck in ihre Schüssel fallen, und sie begann, an der Kruste zu knabbern.
Das Brot war genauso köstlich wie das Chili, es war allerdings so heiß, dass sie es ganz langsam essen musste. Was wahrscheinlich nur gut war, denn sonst hätte sie die Mahlzeit hemmungslos verschlungen. Der Duft von
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