Der Skorpion
wahrscheinlich Beruhigungs- und Schmerzmitteln, ruhiggestellt hatte. Das FBI forschte bereits bei den ortsansässigen Verkaufsstellen nach einem Hinweis darauf, woher der Mörder die Medikamente bezog.
Das Problem war nur, dass jedes Opfer über Rezepte verfügte. Legale Rezepte für Medikamente gegen Angstzustände, Schlaflosigkeit und Schmerzen.
Leichte Rückenschmerzen machten sich bemerkbar; Pescoli war es nicht gewohnt, Stunde um Stunde zu sitzen. Ihr Überschuss an Tatendrang zwang sie, immer in Bewegung zu bleiben. Einen Schreibtischjob hätte sie niemals ertragen. Die Zeit, die sie mit Aktenlesen und der Computermaus am Schreibtisch verbringen musste, trieb sie ohnehin schon an den Rand des Wahnsinns.
Sie ging den Flur entlang und sah zum ersten Mal seit Tagen ein bisschen Spätnachmittagslicht durch die Fenster fallen. Sonnenstrahlen brachen durch die Wolken, die sich bereits wieder zusammenballten. Ein paar Sekunden lang war es blendend hell, als das Licht auf die hohen Schneewehen draußen rund um den Parkplatz und den Hof fiel, wo der Fahnenmast stand. Das Sternenbanner bewegte sich schlapp in der Brise, die Flagge von Montana blähte sich ebenfalls leicht, ihr goldener Rand glänzte in der Sonne.
Gott sei gedankt für die winzige Wetterbesserung, auch wenn sie laut Wetterbericht nur von kurzer Dauer sein sollte.
Wenn sie doch auch in ihrem Fall einen Durchbruch verzeichnen könnten.
Sie ging in die Küche, goss sich einen Becher von »Joelles Spezialmischung« ein, wie der Zettel auf dem Tresen verriet, und kehrte zurück an ihren Schreibtisch.
Sie setzte sich, trank einen Schluck und fand, dass der Kaffee genauso schmeckte wie an jedem anderen Tag. »Von wegen Spezialmischung«, sagte sie leise, stellte den Becher ab und überflog die Liste der Freunde und Verwandten der drei Frauen ein letztes Mal. Nichts passte zusammen, genauso wenig wie ihre Heimatorte, die Schulen, die sie besucht hatten … nichts. Soweit sie es beurteilen konnte, hatten sich die Frauen untereinander nicht gekannt. Doch sie waren alle zur Zielscheibe für einen Mörder geworden, den irgendetwas mit jeder von ihnen verband, dessen war sie sicher.
Ihr Handy klingelte, und sie erkannte die Nummer ihres Sohnes auf dem Display. Sie ließ es zweimal klingeln und musste sich zusammenreißen, um sich nicht mit »Wo steckst du?« zu melden. Stattdessen sagte sie in neutralem Ton: »Detective Pescoli.«
»Du hast mich angerufen?«
»Ja, Jeremy, habe ich. Du solltest dieses Wochenende bei deinem Va-, bei Lucky verbringen.«
»Ich hatte keine Lust.«
»Warum nicht?«
»Da ist es langweilig.«
»Und?«, drang sie weiter in ihn und drehte ihren Stuhl, um den Computermonitor und die auf ihrem Tisch ausgebreiteten Aufzeichnungen nicht ansehen zu müssen.
»Er ist nicht mein richtiger Vater.«
»Er hat dich großgezogen.«
»Teilweise, weil er es musste«, schoss Jeremy empört zurück.
»Hör zu, Jeremy, diese Besuche sind Teil unserer Abmachung. Das weißt du, und das weiß ich. Jedes zweite Wochenende verbringst du bei Lucky.«
»Das ist eure Abmachung, nicht meine«, sagte er. »Ich wurde gar nicht gefragt.«
»Ich muss dich wohl daran erinnern, dass du hier das Kind bist.«
»Ich bin fast achtzehn.«
Sie verzog das Gesicht. Hatte sie nicht die gleichen Worte genauso leidenschaftlich ihren Eltern gegenüber geäußert? »Vielleicht überrascht es dich, aber auch, wenn du achtzehn bist, heißt das nicht, dass du alles bekommst, was du willst.«
»Dann bin ich erwachsen!«
»Jeremy, die Regeln ändern sich nicht, nur weil du einen Tag älter wirst. Ich glaube, achtzehn bedeutet nur, dass ich dich legal aus dem Haus werfen kann.«
»Was?« Sein Schock wurde zusammen mit den Schallwellen übertragen. »Mich rauswerfen? Toll, Mom, du hilfst mir wirklich sehr.«
Zu einer solchen Diskussion ließ sie sich nicht hinreißen. »Tja, im Moment bist du noch nicht achtzehn und musst deinen Stiefvater besuchen.«
»Aber ich wollte heute bei Ryan übernachten. Videospiele spielen.«
»Das kannst du mit Lucky klären.«
»Auch eine Art, mir den Schwarzen Peter zuzuschieben, Mom.«
»Ich muss Schluss machen. Falls dein Stiefvater nicht Bescheid sagt, dass du bei ihm bist oder er sich mit dir abgesprochen hat, gibt es Ärger.«
»Mensch, bist du stur!«
»Ja, Jeremy. Hab dich lieb!« Sie legte auf, bevor sie noch mehr Widerworte hinnehmen musste. Tatsache war, dass sie sehr wohl einen Verdächtigen beim Kragen packen, in
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