Der Skorpion
Wolken zusammen, grimmiger denn je. Es war kalt.
Und Jillian Rivers wollte einfach nicht stillstehen.
Sie kam ans Fenster, sah aus wie ein gespenstsischer Schatten, beinahe nahe genug, um durchs Zielfernrohr erkennbar zu sein, doch dann, fast als wüsste sie, dass ihr Gefahr drohte, schlüpfte sie zurück ins Innere der Hütte und erschwerte den Schuss.
Was tun?
Ein Risiko eingehen? Einfach drauflosballern?
Doch dann bestand die Gefahr, sie zu verfehlen, sie zu warnen. Obwohl sie keineswegs getötet werden sollte. Noch nicht. Sie sollte nur ein bisschen schwerer verletzt werden. Außer Gefecht gesetzt.
Aber es war besser zu warten.
Und auf sie zu schießen war nie Teil des Plans gewesen.
Nein … noch war Zeit.
In diesem Fall war Geduld tatsächlich eine Tugend.
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14. Kapitel
J illian sah auf die Uhr im Bücherregal. Batteriebetrieben und mit altmodischem Zifferblatt tickte sie die Sekunden ihres Lebens weg. Sie wusste nicht, welchen Tag man schrieb, aber in der Zeit war sie sich ziemlich sicher. MacGregor war seit über einer Stunde fort.
Ihre alte Angst hörte nicht auf, sie zu quälen …
Wenn er nun gar nicht zurückkommt?
Wenn das Teil seines Plans ist?
Sie blickte zur Tür, wo der Hund geduldig wartete. Den alten Harley würde er doch um nichts in der Welt im Stich lassen. Nein, er kam zurück. Es sei denn, er war verletzt. Daran mochte sie gar nicht denken. Immer wieder durchsuchte sie die Hütte, suchte nach Hinweisen auf seine Identität, auf ihren Aufenthaltsort. An den Wänden hingen Landkarten von der Gegend, doch die sagten ihr nicht viel. Forstwirtschaftliche Karten, topografische Karten einer gebirgigen Region.
Sie hinkte zum Gewehrschrank und zog am Türgriff, doch das gute Stück war abgeschlossen. Aus Gewohnheit? Um etwas vor ihr zu verbergen? »Nein, Dummkopf, damit du nicht irgendeine Büchse auf ihn richtest, wenn er zurückkommt.« Sie dachte an ihr Gefühl, dass sich jemand draußen im Dunkeln versteckte, und bekam eine Gänsehaut. Sie konnte mit einem Gewehr umgehen; Grandpa Jim hatte dafür gesorgt, als sie noch ein Teenie war. Er hatte ihr gezeigt, wie ein. 22 Kaliber-Gewehr funktioniert, welchen Schaden es anrichten konnte; er hatte ihr auch beigebracht, das Zielfernrohr zu benutzen. Sie war kein Meisterschütze, konnte sich aber durchaus sehen lassen.
Noch einmal betätigte sie den Türgriff des Gewehrschranks. Nichts rührte sich.
»Dann muss ich wohl mit Filetiermessern vorliebnehmen«, sagte sie zu dem Hund, der tatsächlich ein paar Mal mit der Rute über den Boden fegte. Was irgendwie ermutigend war. Das Tier wurde langsam warm mit ihr. Sie stöberte in einem Wandschrank herum, entdeckte noch mehr Jagdzubehör, ein paar Kleidungsstücke und in einem Fach ganz oben unter ein paar Mützen einige Brettspiele, die offenbar schon seit den Siebzigern hier eingelagert waren.
Wenn es richtig schlimm wurde, konnten sie und MacGregor, sofern er zurückkam, ja zusammen Halma spielen.
»Toll.« Sie hatte nichts auch nur annähernd Aufschlussreiches gefunden, nichts, was etwas über den Mann aussagte, der sie gerettet hatte.
Oder gefangen genommen hatte?
Den dummen Gedanken verdrängte sie. Er wollte sie nicht in seiner Hütte haben, das hatte er ihr deutlich genug zu verstehen gegeben.
Aber vielleicht war er ein Lügner.
Na ja, lügen wir nicht alle mal?
Jetzt verteidigst du ihn schon?
Statt weiterhin derartige Selbstgespräche zu führen und da sie befürchtete, dass sie tatsächlich den Verstand verlor, durchsuchte sie weiter MacGregors Habseligkeiten. Sie sah zum für sie unerreichbaren Dachboden hoch. Was war dort oben? Wenn sie so weit wie möglich zurücktrat, bis sie beim Kamin stand, den Rücken zur Öffnung und zu der Tür zum Zimmer, in dem ihre Pritsche stand, dann konnte sie den oberen Teil des Dachraums sehen, aber nicht, was sich dort befand.
Benutzte er ihn als Boden, als Lagerraum? Als Arbeitsplatz? Gästezimmer? Der Raum lag im Dunkeln, und soweit sie sich erinnerte, war MacGregor nie die Leiter hinaufgestiegen.
Aber sicher bist du dir nicht, oder? Du hast tagelang geschlafen oder im Koma gelegen, nicht wahr? Du hast in dem kleineren Zimmer gelegen und nichts mitbekommen.
Sie durchsuchte das Bücherregal noch einmal und hob einen Gegenstand hoch, offenbar eine leere Vase, eine grobe Keramiknachbildung eines abgetragenen Cowboystiefels. Sie blickte hinein. Sie war leer – bis auf zwei Fotos. Es gab also doch ein paar Aufnahmen. Gut.
»Wer A sagt,
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