Der Sodom Kontrakt
Perverse den Normalzustand.”
Er fuhr zum Tanken auf die Raststätte Frechen. Ein junger Mann mit langem Haar und Fransenjacke sprach ihn an. Ob er ihn und seine Freundin ein Stück in Richtung Holland oder Belgien mitnehmen könne? Gill kam eine Idee und ließ das Pärchen einsteigen. Die beiden waren aus Tübingen, wo sie Literaturwissenschaft studierten. Ihre ersten Semesterferien. Sie hatten sich vorgenommen, in jeden Semesterferien ein anderes europäisches Land kennenzulernen. Aber ihr größter Traum war ein Trip in die Staaten.
Das ließe sich machen, erklärte Gill. Er gab ihnen seine Kreditkarte, die sie bis zu zehntausend Mark belasten könnten und verriet ihnen ein paar Tricks. Die jungen Leute wurden sofort misstrauisch. Gill erzählte, dass er mit Monika durchgebrannt sei und seine Frau und ihre Familie Privatdetektive hinter ihnen hergeschickt hatten. Er wolle seine Spuren verwischen. Wenn das Pärchen von Brüssel nach New York flöge und diese Reise mit seiner Scheckkarte bezahle, könne er die Privatdetektive in eine falsche Richtung locken.
Die beiden überlegten nur kurz. Eine solche Chance würde sich nie wieder bieten. Sie waren jung und konnten sich nicht vorstellen, welche Gefahren im Leben auf sie lauerten. Begeistert stimmten sie zu und gingen Monika mit ihrer Hochstimmung ziemlich auf die Nerven. Als sie endlich den Brüsseler Airport erreichten, hatte das Pärchen sich high gequatscht. Gill kaufte mit seiner Karte die Tickets, gab ihnen die Scheckkarte und wünschte ihnen eine schöne Reise.
“Das führt Kommissarin Bloch in die falsche Richtung”, meinte Monika.
“An die habe ich nicht gedacht”, entgegnete Gill.
Er fuhr in die Brüsseler Innenstadt. Sie kamen am Protzbau des Europaparlaments vorbei.
“Auch einem Palast sieht man von außen nicht an, wie viele Leichen in seinem Keller liegen. Willkommen im modernen Sodom. Sie sehen das größte Bordell des Kontinents”, sagte er zynisch. Am Polizeipräsidium bog er ab und fuhr schließlich in die Rue Marche au Charbon. Langsam durchfuhr er die Straße auf der Suche nach einem Parkplatz.
“Wo wollen Sie hin?”
“Ins Simba. Das ist ‘ne Bar.”
“Simba?”
“Der Inhaber benannte sie nach der Gruppe der Simba-Kämpfer, die während der Kongo-Unruhen in den Sechzigern eine böse Rolle gespielt haben. Kongolesische Rebellenarmee. Anführer war ein Pierre Mulele, ein Pseudokatholik, der seine Anhänger mit eigenem Urin taufte, um sie kugelfest zu machen. Ihr Schlachtruf war: Mai Mulele — Muleles Wasser.”
Als sie am Haus Nummer 42 vorüberrollten, deutete er auf den erhellten Eingang einer Gaststätte mit Vorhängen vor den türhohen Seitenfenstern.
“Aber die Bar heißt La Renaissance”, sagte Monika.
“Unter Insidern heißt sie Bar Simba. Bevor die Katanga-Brauerei zumachte, war sie das einzige Wasserloch außerhalb Afrikas, in dem man Simba-Tembo-Bier trinken konnte.”
Monika sah ihn ungläubig an: “Simba-Tembo-Bier. Aha. Sie wollen jetzt ein Simba-Tembo-Bier. Ich verstehe. Man gönnt sich ja sonst nichts. Wahrscheinlich aus Urin gebraut.”
“Sie verstehen nichts. Außerdem hab ich gesagt: Bevor die Katanga-Brauerei dicht machte. Heute kriegen Sie nirgendwo ein Simba-Tembo. Diese Bar ist auf dem europäischen Festland die vielleicht wichtigste Informationsbörse für Söldner.”
“Wollen Sie etwa Söldner anheuern?”
“Unsinn. Aber Söldner hören das Gras wachsen. Von ihnen erfährt man Dinge, die nicht in der Zeitung stehen und auch nie in dieGeschichtsbücher kommen. Wenn man die Wahrheit über Wet Jobs suchen, sollte man hier anfangen.”
“Was für nasse Jobs?”
“Ein Begriff der Geheimdienste. Wet Jobs sind Auftragsmorde. Sie werden nicht nur von Killern und Mafiosi durchgeführt, sondern auch von Söldnern. Fast jeder Söldner hat irgendwann mal für die CIA, den Mossad, den südafrikanischen BOSS oder Gott weiß welchen Geheimdienst gearbeitet.”
“Was hat das mit Harry zu tun?”
“Er wurde von Profis umgebracht. Also war es ein Wet Job. Vielleicht erfahre ich etwas. Vielleicht auch nicht. Söldner sind nicht gerade mitteilsam. Besonders nicht Außenstehenden gegenüber. Aber ich habe ein paar kennengelernt. Mit etwas Glück, treffe ich e einen Bekannten oder den Bekannten eines Bekannten. Oder ich kann mich auf jemanden berufen.”
In einer Seitengasse fanden sie einen Parkplatz. Nun fing es auch in Brüssel an zu regnen. Schnell liefen sie zur Rue Marche au Charbon zurück.
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