Der Sodomit
fließen und den neuen Verband würde er ebenfalls damit tränken. Mihály hielt ein Leinentuch unter die Hand des Kindes, nickte der Mutter zu, die wieder blasser als ihre Tochter war, und goss ein dünnes Rinnsal über den Finger. Das Kind schnappte nach Luft.
„Dauert ein bisschen.“ Ob sie das tröstete? Dicke Tränen tropften ihr vom Kinn, aber sie hielt die Hand still. Die Mutter sang ihr leise Lieder ins Ohr. In einem hoppelte ein Häschen durch den Wald und merkte nicht, dass sich ein Fuchs anschlich. Er packte das Tier von hinten und biss ihm in den Schwanz.
Kein Trostlied.
Entweder sprach es den Arzt in ihm an und ließ ihn überlegen, wie viel Stiche er für einen Stummelschwanz brauchte und ob es nicht sinnvoller wäre, das Tier gleich in den Kochkessel wandern zu lassen. Oder das Lied sprach den Mann in ihm an, der wahlweise der Fuchs oder der Hase sein wollte, und sich zwar nicht nach zu festen Bissen, aber zärtlichem Knabbern sehnte. Bei Josias war er seit letzter Nacht nicht wieder gewesen. Ein Teil von ihm fürchtete sich davor, dem jungen Mann zu begegnen, ein anderer Teil lechzte danach.
Spätestens wenn der Leinenverband um den Kinderfinger gewickelt war, besaß er keine Ausrede mehr. Josias musste essen und vor allem musste er sich aufs Kreuz spannen lassen.
Die Nähe zu ihm forderte Mihály heraus. Josias’ Jugend, seine Schönheit, die viel mehr von innen kam, als bei jedem anderen Menschen. Das Erwachen seiner Lust und den Anteil Schuld, den Mihály daran trug. Alles lockte ihn an. Alles zog ihn zu Josias und damit ins Verderben.
Wie sich sein Herz dennoch nach dem Mann sehnte.
Wie sich sein Unterleib nach ihm verzehrte.
„Tut dir auch was weh?“ Das Mädchen blickte ihn mit großen Augen an. „Du seufzt wie meine Großmutter, wenn sie die Hexe in den Rücken geschossen hat.“
Da war sie, die Gefahr. Passte er nicht jeden Moment seines Lebens auf, verriet er sich. Mihály zwang sich ein Lächeln auf den Mund, um den Schreck zu verbergen. „Komme morgen wieder, dann wechseln wir den Verband noch einmal.“
„Brennt es dann wieder?“
„Das entscheiden wir, wenn wir uns die Naht angesehen haben.“
Die kleine Hand zitterte in seiner. Sie hatte es die ganze Zeit über getan und war dennoch geblieben. Obwohl er verantwortlich für ihren Schmerz war.
Vertrauen.
Josias besaß es ebenso wie alle seine Patienten.
Mache, dass ich es niemals enttäuschen muss.
Stoßgebete waren selten bei ihm.
Mihály sah Mutter und Tochter hinterher, wie sie durch den Matsch der Straße stapften.
Das Frühstück, das ihm Sara am Morgen mitgebracht hatte, stand noch unberührt in der Diele. Nahe an der Kellerluke.
Mittag war vorbei. Josias musste hungrig sein. Empfand er wie vergangene Nacht Hass und Liebe gleichzeitig für ihn oder befolgte er Mihálys Rat und der Hass siegte mittlerweile?
Josias musste bis zum Abend aufs Kreuz. Danach konnte er ihn aus gutem Grund hassen, aber er wäre wieder ein Stückchen gerader.
Liebe mich!
Egoistisch, gefährlich und schlicht dumm! Mihály verbot dem Sehnen in seinem Herz den Mund.
„Szábo! Bist du da?“ Tamás‘ ungeduldiger Stimme folgte ein heftiges Klopfen an der Tür. Was wollte der Kerl von ihm? Magendrücken? Oder hatte er sich beim Nasebohren den Finger verrenkt?
Schon schwang die Tür auf und der Arzt betrat mit skeptischem Blick in jede Ecke das Haus. „Du kannst von Glück sagen, dass du nicht wie die anderen deines Standes von Ort zu Ort ziehen musst.“
„Warum?“ Er war der Wundarzt des Königs und wenn nicht, hätte er eine Stelle als Stadtarzt. Vielleicht in Pest. Als Wanderchirurg musste er sich nie durchschlagen. Dazu gab es zu viele Heerführer, die dankbar für seine Dienste waren. Tamás musterte mit gerümpfter Nase die Wartebank und den Behandlungsstuhl. Péter war beim Trockenreiben und grüßte den Arzt freundlich.
Den Vorhang, der im Bedarfsfall vorgezogen wurde, um nicht jedem ein Blutbad vor Augen zu führen, tippte Tamás mit spitzem Finger an.
„Nett hast du es hier. Wenn ich nicht zu Größerem berufen worden wäre, könnte ich mir ein solches Leben, wie du es führst, auch vorstellen.“
Schwappte ihm der Wein noch im Kopf herum?
„Ich sehe, meine Worte versetzen dich in Erstaunen“, plauderte er. „Aber mit einem Bader an meiner Seite wäre ich durchaus in der Lage, mich in einer Stadt wie Prag oder Krakau niederzulassen.“
„Warum tust du es nicht?“ Die braven Prager und Krakauer Bürger
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