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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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wieder und wieder, bis Hannah schließlich unter Tränen stotterte: » Die Spinnen haben sie mitgenommen.«
    Ehe sie erklären konnte, dass sie keine andere Wahl gehabt hatte, dass sie jetzt selbst tot wäre, wenn sie sie hereingelassen hätte, oder dass er und Mum gestorben wären, wenn sie geschrien hätte, hatte ihr Vater ihr einen Schlag versetzt. Einen heftigen. Und dann war er aus dem Zimmer marschiert.
    Hannah hielt sich in sicherer Entfernung, während ihre Eltern den Vormittag in Brand setzten, indem sie hektische Telefonate führten, zum Auto rannten und mit quietschenden Reifen fortfuhren, zurückgestürmt kamen und in der Tür standen, um nach Miriam zu schreien. Das Feuer erstarb schließlich, und eine stille, schmallippige Atmosphäre machte sich breit. Sooft Hannah ihren Namen erwähnt hörte, zischte ihr Vater etwas von lächerlichen Träumen.
    Und es war in der Tat lächerlich, dass eine schwarze, lautlose Armee von Spinnen mitten in der Nacht kam, um ein bestimmtes Mädchen zu rauben, und dann, nachdem dies vereitelt wurde, seine ältere Schwester nahm. Aber es stimmte. Und so saß Hannah in ihrem Sitzsack, streichelte Swizzle und versuchte, nicht daran zu denken, was aus Miriam geworden war, nachdem die Spinnen sie geholt hatten. Sie saß immer noch dort, als die Polizei kam. Als eine Beamtin sie fragte, ob sie in der Nacht irgendwelche komischen Geräusche gehört hatte, wusste Hannah, dass es idiotisch wäre, etwas anderes als » Nein« zu sagen.
    Miriam war tot. Hannah horchte in sich hinein nach dem leisesten Gefühl, dass es anders sein könnte, aber sie fand keins. Miriam lebte nicht mehr. Und wenn es nicht Miriam gewesen wäre, hätte sie selbst dran glauben müssen. Der Umstand, dass sie so erleichtert war, weil sie nicht von den Spinnen geholt und lebendig und schreiend in einen Kokon gewoben wurde, um gebissen, vergiftet und ausgesaugt zu werden, oder was immer Spinnen taten, bedrückte sie und machte ihr ein schlechtes Gewissen. Etwas hatte sie gestern holen wollen, indem es den als kristallenes Einhorn getarnten, furchtbaren Vogel auf dem Weg abgelegt hatte. Der Versuch war fehlgeschlagen, und dafür war Miriam in den Wald geschleppt worden.
    Während Hannah in ihrem Sitzkissen saß, den Schoß von Swizzle gewärmt und mit einem immer noch vom Schlag ihres Vaters brennenden Hintern, während Männer und Frauen in blauen Uniformen durchs Haus wuselten und ihre Eltern sich an den Händen hielten, wurde ihr klar, was sie zu tun hatte.
    Sie konnte Miriam nicht zurückbringen. Aber sie konnte töten, was ihre Schwester geholt hatte.

26
    Nicholas saß auf der Toilette. Er dachte, wenn er lange genug sitzen blieb, würde er sich vielleicht so weit fangen, dass er wieder hinausgehen konnte. Dann hob sich sein Magen wieder. Er drehte sich gerade noch schnell genug auf die Knie, um einen dünnen Strahl bernsteinfarbner Galle in die Schüssel zu spucken. Während er sich übergab, umklammerte er die Stahlhalterung neben der Kloschüssel.
    » Scheiße«, flüsterte er.
    Er musste jetzt endlich wieder raus.
    Er wollte nicht. Es war schrecklich. Aber er wusste, es blieb ihm nichts anderes übrig.
    Er stand auf, wischte sich den Mund mit einem Papierhandtuch ab und schloss die Toilettenbox auf.
    Tote trieben vorüber wie Leichen auf dem Meer nach einem Tsunami. Sie rollten auf unsichtbaren Bahren vorbei, manche schlugen wild um sich, manche waren fast reglos. Einige würgten lautlos und bogen sich auf wie zerbrechliche Brücken, andere weinten vor Schmerz. Sie alle wurden zwischen den mit Vorhängen verhüllten Bettnischen der Notaufnahme hin und her gefahren.
    Nicholas spürte, wie seine Knie nachzugeben drohten.
    » Kann ich Ihnen helfen, mein Freund?«, fragte ein gehetzt wirkender Pfleger.
    » Lai …« Nicholas musste einen hartnäckigen Mundvoll Galle wieder nach unten würgen. » Laine Boyle?«
    » Bett Nummer 12.«
    Nicholas nickte zum Dank. Eine alte Frau taumelte plötzlich vor ihm her und zog an Katheterschläuchen in ihren Armen, die man ihr vor wer weiß wie vielen Jahren gelegt hatte. Sie fiel würdelos zu Boden und sah zu Nicholas auf, ehe unsichtbare Hände unter ihre Schultern fassten, sie in eine nahe Kabine schleiften und auf ein kleines, bewegtes Meer sich überlappender Geister ablegten. In dessen Mitte kaute ein unrasierter Patient nachdenklich auf der Unterlippe, während er Zeitung las. Als er Nicholas’ Blick auf sich fühlte, spähte er über den Rand der Zeitung.
    » Alles

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