Der Sog - Thriller
in Ordnung?«
Nicholas nickte steif und eilte fort.
Laine lag auf dem Rollbett in Kabine zwölf. Ein Schlauch für eine Salzlösung schlängelte sich in ihren Arm. Überwachungsdrähte hingen wie Neunaugen an ihrer oberen Brust. Ein rot leuchtendes Plastikding war wie ein elektrifizierter Blutegel an einer ihrer langfingrigen Hände befestigt. Um sie herum waberte ein Nebel sich überlagernder Geisterkörper.
Nicholas kämpfte gegen den Drang zu fliehen.
» Ja, Sir?«
Eine rundliche, schwarzafrikanische Schwester kam in die Kabine gewalzt und griff, ohne Nicholas anzusehen, nach Laines Krankenblatt; sie überflog es und stellte dann den Zufluss der Infusion nach.
» Ich habe sie gebracht«, antwortete er.
» Sind Sie ihr Mann?«
Laines Gesicht war friedlich, es wusste nichts von dem Meer des Todes, das sie umspülte. Wieder war Nicholas von den klassischen Linien ihres Gesichts beeindruckt. So muss Orpheus Eurydike vorgefunden haben, unter einem Schleier hin und her wogender Geister schlafend … nur vielleicht ohne den Ausbruch rauen Gelächters im Zimmer des medizinischen Personals in der Mitte der Station. Wieder bemerkte er den fingernagelfeinen Kratzer auf ihrer Wange.
Was ist mit Ihrem Gesicht passiert? War das Mrs. Boye?
Ja.
Sie hatte gelogen. Das war Quill gewesen. Aber wie? Wann?
» Nein«, antwortete er.
» Verwandt?«
Nicholas schüttelte den Kopf.
» Aha«, sagte die Schwester in argwöhnischem Ton.
Nicholas kam eine Idee. Er griff an seinen Hals und löste das Halsband mit den Holunderholzperlen und dem Sardonyx.
» Sie wollte das haben. Können Sie es ihr anlegen?«
» Nein.«
» Es bedeutet ihr sehr viel.«
» Warum trägt sie es dann nicht schon?« Die Schwester blickte auf das grobe Halsband, dann fixierte sie Nicholas mit einem humorlosen Blick, der ausdrückte: Verschwenden Sie meine Zeit nicht.
» Schön. Können Sie es ihr mir zuliebe geben?«
Die Schwester sah ihn einen Moment lang an, dann seufzte sie viel zu laut und streckte die Hand aus.
Er ließ das Halsband in ihre hellbraune Handfläche fallen. Sobald die Berührung abriss, machte die Welt plötzlich einen Ruck, und er taumelte. Er hörte ein Rascheln im Ohr, ein hohes Kreischen, als würden tausend Zikaden in seinen Schädel einzudringen versuchen. Kabine und Schwester wurden unscharf.
» Sir?«
» Mir wird gerade …«
Die Schwester drückte ihm das Halsband wieder in die Hand und schloss seine Finger über Stein und Holzperlen. Die Welt stabilisierte sich wieder, und es blieb nur eine schmerzhafte Müdigkeit zurück.
Die Schwester betrachtete ihn ängstlich und aufmerksam. » Ich glaube, Sie brauchen es mindestens so sehr wie sie.«
Sie wandte den Blick ab und weigerte sich, ihn noch einmal anzusehen.
» Schwester?«
Sie zögerte am Vorhang der Kabine und konnte es kaum erwarten wegzukommen.
» Können Sie mir sagen, wo die Intensivstation ist?«, fragte er.
» Fahren Sie mit dem Aufzug in den fünften Stock«, sagte sie und scheuchte ihn mit ihren fleischigen Armen aus der Station wie einen üblen Geruch.
Pritam lag in einem von Glas umgebenen, geschlossenen Kasten. Ein Sauerstoffschlauch unter seiner Nase versorgte ihn mit Luft. Eine Halskrause hielt sein Gesicht starr, und über seinem Körper schwebte ein Netz aus Edelstahlrahmen. Für Nicholas war er wie ein Fels in stürmischer See, der reglos dalag, während Männer und Frauen lautlos um ihn herumbrandeten: zuckend, erbrechend, sterbend und wie ein morbider Rauch ineinanderfließend. Es waren so viele, dass er sie nur verschwommen wahrnahm, aber durch den pulsierenden Dunstschleier hindurch sah er ihre Augen – Dutzende von Augen – und sie beobachteten ihn.
Sein Herz schlug schnell, und sein Hals wurde heiß.
Ich werde gleich ohnmächtig, dachte er.
Nur zu, Pritam wird es nicht merken.
Die Dienst habende Schwester kam vorbei, und Nicholas fragte sie mit einer Stimme, die – so hoffte er – eher beunruhigt als selbstbezogen elend klang, wie es Reverend Pritam ginge. Sie erklärte, die Operation zur Reparatur einer geplatzten Nierenader sei erfolgreich verlaufen, und er würde morgen noch einmal operiert, um das Becken, das linke Bein und zwei Schlüsselbeinbrüche zu beheben. Eine Computertomografie habe eine kleinere Schwellung des Gehirns angezeigt, die überwacht würde.
Die Schwester ging, und Nicholas richtete seinen Blick auf einen Punkt in der Ecke, aus dem keine Toten zu wachsen schienen. Er dachte nach.
Quill. Sie hat das ohne
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