Der Sog - Thriller
Sie?«, fragte Laine.
» Rowena.« Sie sah Laine ins Gesicht, musterte ihre Haut, ihre Augen. Fand gut, was sie sah. » Vorsicht.« Sie hob die Hand und strich behutsam die losen Haare über Laines Augen aus der Stirn und steckte sie hinter ihr Ohr. Laine sog die Luft ein bei der Berührung fremder Fingerspitzen an ihrer Schläfe, ihrem Ohr, ihrem Hals. Sie wandte den Kopf halb ab. Ich sollte das nicht genießen. Nicht von einem Mädchen.
» Was macht die Beule?«, flüsterte Rowena.
Sie nahm Laines Gesicht sanft in beide Hände. Ihre Handflächen waren trocken und kühl. Sie neigte Laines Gesicht ihrem eigenen entgegen und öffnete leicht den Mund.
» Sieht gut aus«, flüsterte sie und senkte den Blick, um direkt in Laines Augen zu schauen.
Diese Augen, dachte Laine. Wunderschöne Augen. Ich könnte es tun. Ich glaube, es würde mir gefallen.
Rowena lächelte. Rote Lippen, die sich teilten. Weiße Zähne.
» Gut«, flüsterte Laine. Sie beugte sich vor.
Das Läuten ihres Handys kam schrill und plötzlich wie eine Dampfpfeife. Laine zuckte überrascht zurück. Rowenas Finger glitten über ihre Haut, ein Nagel blieb am Kinn hängen und schnitt ins Fleisch, es floss ein wenig Blut.
» O Gott!«, schrie Rowena. » Das tut mir so leid.«
Laine trat ruckartig einen Schritt zurück. Was tue ich da? Sie spürte, wie der tiefe Kratzer brannte.
Das Telefon trillerte hartnäckig weiter. Sie fummelte in ihrer Tasche herum.
» Schon gut. Es ist nichts.«
» Sie bluten.«
Laine blinzelte und hob die Hand zur Wange. Ihre Fingerspitzen waren leicht rot. Rowena eilte rasch fort und bückte sich unter die Ladentheke.
» Wirklich, es ist nichts.«
Wollte ich sie gerade küssen? Was habe ich mir dabei gedacht?
Rowena kam mit einem Taschentuch zurück. » Hier …«
Sie streckte die Hand behutsam nach Laines Wange aus. Laine musste den Drang unterdrücken zurückzufahren. Rowena drückte das Taschentuch auf Laines Haut. Der Kratzer pulsierte in neuem Schmerz.
Tut mir leid, formte sie mit den Lippen.
Laine zwang sich zu einem Lächeln – vergessen Sie es – und bekam endlich ihr Handy zu fassen. Sie drückte auf den grünen Knopf. » Ja?«
» Mrs. Laine Boye?«
» Ms. Boye, ja.«
» Ms. Boye, okay. Hier spricht Detective Sergeant Kaye Waller von der Polizei. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Passt es gerade?«
Rowena runzelte die Stirn, als sie das Taschentuch zurückzog. Auf dem weißen Gewebe war eine Linie mit roten Sprenkeln zu sehen.
» Einen Moment.« Laine deckte das Telefon mit der Hand ab. » Tut mir leid, ich muss rasch nach draußen, um …«
Rowena nickte. » Klar. Aber kommen Sie noch einmal herein, dann gebe ich ein bisschen Papausalbe auf diesen Kratzer. Es tut mir so leid …«
Laine ging nach draußen. Die Tür fiel hinter ihr zu. Regen prasselte auf die Markise.
» So, Entschuldigung, bitte sprechen Sie.«
» Ms. Boye, darf ich Sie fragen, was Sie gestern Abend getan haben?«
» Was ist los?«
» Wenn Sie mir bitte einfach sagen könnten, was Sie gestern Abend getan haben und zu welcher Zeit.«
Laines Herz begann wieder zu hämmern. Sie drehte sich um.
Im Hinterzimmer des Ladens runzelte Rowena die Stirn und wischte eifrig über irgendetwas.
» Ms. Boye?«
» Ich bin gegen acht zum anglikanischen Pfarrhaus hier in Tallong gefahren und bis schätzungsweise zehn Uhr mit Reverend Anand dort gewesen.«
Der Detective stellte noch ein paar Fragen – wann genau, ob sie direkt dorthin und wieder zurück gefahren war, welche Marke das Auto hatte, das sie fuhr.
» Und ich habe einen Nicholas Close hier«, sagte Detective Waller. » Er würde gern mit Ihnen sprechen.«
Laine blickte in den Laden. Rowena war nirgendwo zu sehen.
» Natürlich.«
Sie benutzte die Gelegenheit, um in den Regen hinauszuschlüpfen.
Nicholas lehnte sich an den schwarzen, kalten Granit der Polizeizentrale und wünschte dringend, er könnte sitzen.
Der Regen schlug so heftig auf die Roma Street, dass es ihn nicht überrascht hätte, wenn der Asphalt aufgerissen wäre und sich aufgelöst hätte. Das Vordach bot ihm nur Schutz, wenn er sich dicht an die Wand presste. Die Metallbänke vor dem Haus waren dem Regen ausgesetzt und klirrten dumpf, wenn die schweren Tropfen sie trafen. Nicholas schloss die Augen und stellte sich vor, dass jeder, der vorbeikäme, ihn für einen schwankenden Penner halten würde, zu armselig, als dass ihn jemand belangen würde.
Während der letzten halben Stunde hatte er versucht,
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