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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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jetzt. Schwer.« Er sah auf die träge vorbeigleitende Regenwelt hinaus. » Als würde ich einfach in die Erde sinken, wenn man mich auf den Boden legte.«
    Laine fuhr mit grimmiger Miene weiter.
    » So habe ich mich früher gefühlt«, sagte sie. » Dann hat sich Gavin umgebracht.«
    Er sah wieder zu ihr hinüber. Ihr Profil war kräftig und fein zugleich. Es war ein anachronistisches Gesicht, eins aus alter Zeit. Sie hätte in einer Umgebung von Renaissancebildhauern zur Welt kommen sollen, oder als Tochter eines Pharaos, nicht heute, da Kultur in Klicks auf YouTube gemessen wurde. Kein Wunder, dass sie immer wütend war.
    Als hätte sie seinen Blick gespürt, wandte sie ihm plötzlich das Gesicht zu. » Haben Sie sie geliebt?«, fragte sie. » Cate?«
    Nicholas nickte. » Sehr.«
    Laine hob das Kinn. » Sie sagten gestern Abend, dass Sie …« Sie zögerte. » Dass Sie Geister sehen können. Haben Sie Cate einmal gesehen? Nachdem sie tot war?«
    Nicholas schwieg. Aus irgendeinem Grund erschien ihm die Frage zutiefst persönlich, wie wenn eine neue Liebe nach verflossenen Partnern fragte. Er hätte am liebsten nicht geantwortet, aber dann rutschte ihm doch ein » Ja« heraus.
    Laine sog die Luft durch die Nase ein. » Sie müssen sehr traurig sein.«
    Er dachte darüber nach. » Ich bin nicht traurig. Ich bin zornig.«
    Laine lächelte. » Ich war zornig. Jetzt bin ich traurig.« Sie setzte den Blinker. » Gäben wir nicht ein gutes Paar ab?«
    Der Wagen bog auf den Coronation Drive und beschleunigte.
    » Wohin fahren wir eigentlich?«, fragte sie.
    Ehe er wusste, wieso, antwortete Nicholas: » Zur Kirche.«
    Sie nickte, schaute in den Rückspiegel und wechselte die Fahrspur. Als sie den Kopf wandte, entdeckte Nicholas einen kleinen Schnitt an ihrer Wange.
    » Was ist mit Ihrem Gesicht passiert?«, fragte er und riet: » Mrs. Boye?«
    » Ja.«
    Ihr Tonfall sagte ihm, dass die Unterhaltung fürs Erste beendet war.
    Vor der Kirche stand eine Gruppe Männer und Frauen mittleren Alters unter Schirmen zusammengedrängt, sie bewegten sich kaum, und die Köpfe gingen mal hierhin, mal dorthin. Auf Nicholas wirkten sie wie ein Schwarm Wildenten – würdig und verletzbar. Als Laine vor der Kirche abbremste und hielt, folgten alle Köpfe dem Wagen. Nicholas wäre nicht überrascht gewesen, wenn sie plötzlich alle unglücklich kreischend aufgeflogen wären. Er ließ sein Fenster herunter. » Hallo. Das Pfarrhaus ist ums Eck.«
    Ein alter Mann mit einem länglichen Gesicht und breiten, haarigen Nasenlöchern sah zu ihm hinunter. » Oh, das wissen wir sehr wohl.«
    Nicholas schüttelte den Kopf – warum stehen Sie dann …?
    » Der Reverend ist tot, und sein Stellvertreter ist im Krankenhaus.«
    » Wer?«, fragte Nicholas. » Pritam? Pritam Anand ist im Krankenhaus?«
    Eine alte Frau mit Hängebacken sah ihn an wie einen Idioten. » Kennen Sie noch einen Stellvertreter? Wir besprechen gerade, was wir tun sollen.«
    Nicholas sah Laine an.
    Im selben Moment sanken Laines graue Augen in ihren Kopf zurück, und sie sackte in ihrem Sitz zusammen.

25
    Hannah Gerlic saß in ihrem Sitzkissen und streichelte Swizzle. Der Wanst des Katers wuchs direkt proportional zu seinem Unwillen, ins Freie zu gehen. Hannah mochte seine Wärme auf ihrem Schoß. Wenn sie sich einzig darauf konzentrierte, Swizzle hinter dem Ohr zu kraulen und den Motor in seinem Innern am Schnurren zu halten, war alles okay.
    Der Hintern tat ihr weh, weil ihr Vater sie wegen ihres Lügens geschlagen hatte. Allein wenn sie an sein vor Angst und Wut gleichermaßen verzerrtes Gesicht dachte, hätte sie wieder zu weinen anfangen können.
    Sie war durch Bewegung, durch ein Rutschen aus den Tiefen eines hässlichen Schlafs gerissen worden. Sie hatte die Augen geöffnet und direkt in das blasse, zornige und verängstigte Gesicht ihres Vaters geblickt – eines Mannes, dessen weiche Züge üblicherweise in ein Buch oder eine Zeitung vergraben waren, oder über die Schulter seiner Frau hinweglächelte, wenn sie im Schlafanzug tanzten – ein Anblick, bei dem ihre Töchter die Augen verdrehten. Diesen Morgen brauchte ihr Vater einen Moment, um das leere Bett, den Bilderrahmen auf dem Boden und seine jüngste Tochter, die schläfrig blinzelnd darauflag, zu verarbeiten, ehe er flüsterte: » Wo ist deine Schwester?« Die Erinnerung an die Spinnen purzelte schwer und hart wie Steine von einem Kipplaster in ihren Kopf zurück, und Hannah begann zu heulen. Ihr Vater fragte sie

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