Der Sog - Thriller
Und du hast etwas auf mich gezeichnet.«
Er blickte zu Boden und nickte wieder.
Als erinnerte sie sich an die Rune auf ihrer Brust, verschränkte sie die Arme.
» Wie geht es Mrs. Boye?«, fragte er.
» Sie hat einen Pfleger von St. Lukas. Fürs Erste.«
Laine zuckte die Achseln und sah Nicholas endlich an.
» Ist er hier?« Ihre Stimme war fest und nüchtern, nur die letzte Silbe hatte ein wenig gezittert.
Nicholas blickte auf. Gavin war auf der Treppe. Er trat durch Laine hindurch und stand hinter ihr.
» Ja.«
» Was tut er?«
Nicholas konnte nur sehen, wie sich Gavins Mund bewegte. In der Hand hielt er die schwarze Plastiktüte. Er langte hinein.
» Das weißt du doch.«
Laine schlang die Arme um ihre Knie. » Ich habe ihn nicht gespürt. Ich kann ihn nicht wahrnehmen. Man sollte meinen …«
Sie hob das Gesicht zum Himmel, vielleicht, um die Tränen zurückzuhalten.
» Laine, besaß Gavin mehr als eine Waffe?«
Sie sah ihn an. Und im selben Augenblick sackte Gavin durch sie hindurch zusammen, sein Kiefer halb weggeschossen und mit einer Art makabren Krone auf dem Schädel.
Nicholas schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, marschierte Gavin erneut draußen auf der Straße auf das Haus zu.
» Ja«, antwortete Laine. » Unter dem Haus weggesperrt. Er beachtete solche Regeln sehr genau.« Sie lächelte kühl.
Nicholas sah Gavin zum Gartentor kommen. Das Gesicht des Toten war angespannt und verwirrt. Himmel, hoffentlich ist das nur ein Bild, dachte Nicholas. Hoffentlich steckt er nicht tatsächlich in dieser Endlosschleife fest.
» Ich habe einen Schlüssel dafür an meinem Schlüsselbund. Wann willst du es machen?«
» Morgen«, sagte er. » Heute Nachmittag will ich noch mal in die Bibliothek.«
Laine nickte. Sie schwieg lange und blickte mit ihren grauen Augen zum Himmel.
» Wir könnten auch einfach weggehen«, sagte sie.
Ich kann nicht sagen, was sie meint, dachte er. Aber er fand es gut so. Er hatte genug Rätsel des Lebens offen vor Augen gehabt, die Vorstellung bewahrter Geheimnisse gefiel ihm. Was meinte sie mit » wir könnten weggehen?« Jeder für sich? Zusammen? Als Freunde? Als gemeinsame Opfer? Als Liebespaar? Er wusste es nicht.
» Das könnten wir«, stimmte er zu. Der Wind frischte auf und ließ eine kleine Welle braunen Laubs die Straße entlangrascheln. » Ich habe ein bisschen Geld.«
» Ich habe eine Menge.«
Sie saßen da, sie die Arme vor der Brust verschränkt, er die seinen um die Knie geschlungen. Er sah sie an und lächelte. Zu seiner Überraschung lächelte sie zurück.
» Du solltest noch ein wenig schlafen«, sagte er und stand auf. Er ging ins Haus zurück, ehe Gavin erneut zusammenbrach.
32
Nicholas ging lautlos unter das Haus am Airlie Crescent. Er und Tristram waren hier unten wie die Wilden herumgerannt und mit ihren Fahrrädern durchgefegt, aber jetzt musste er sich leicht bücken, um sich nicht den Kopf an den Tragebalken zu stoßen. Die feine Erde unter seinen Füßen staubte auf, und er war zufrieden, dass man seine Schritte nicht hören konnte.
Oben hörte er Badewasser einlaufen und die gedämpfte Stimme einer Schwester, die Mrs. Boye gut zuredete.
Nicht weit von einem Spalier, das den Garten von der Hausunterseite trennte, stand eine Werkbank. Schraubzwinge und Bügelsäge waren von einer dünnen Schicht Puder überzogen: Die Kriminaltechniker hatten nach Gavins Selbstmord offenbar Fingerabdrücke genommen.
Neben der Werkbank stand ein solide aussehender Stahlschrank, der auf eine relativ neue Betonplatte geschraubt war. Nicholas setzte die Sporttasche, die er bei sich hatte, leise ab und steckte den Schlüssel ins Schloss, den er von Laine bekommen hatte. Er horchte. Oben hörte das Wasser auf zu laufen. » Warum sollte ich«, kam ein Schrei. Dann die beschwichtigende Stimme der Schwester von St. Lukas.
Nicholas drehte den Griff des Schranks. Er enthielt ein Fach mit Munition und ein Hartplastikgehäuse für ein Teleskop. Darunter senkrechte Fächer für vier Gewehre. Zwei Flinten waren noch da, beide mit Wirbeln aus Fingerabdruckstaub bedeckt. Die eine war eine doppelschüssige Miroku, die andere eine Number 1 Ruger; Nicholas erkannte sie, weil Cates Vater genau dieselbe besessen hatte: ein Jagdgewehr mit Fernrohr, aber ohne Magazin, weil es immer nur eine Kugel auf einmal aufnehmen konnte. Er nahm die Miroku heraus, weil er fand, ihre zwei Schüsse machten sie eben doppelt verlockend.
Er schob die Flinte in die Sporttasche. Ihr
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