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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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» Kommt nicht in Frage. Du passt hier auf die Kinder auf.«
    » Aber …«, fing Bryan an.
    Doch sie war bereits aufgestanden und griff nach dem Telefonbuch.

33
    Die Bäume schienen wie Harpyien zu fauchen über sein Eindringen. Der Wind zauste ihre hohen Wipfel und ließ die Blätter der Gummibäume und die Nadeln der Kiefern rau flüstern. Doch auf dem Boden des Regenwalds schien der Wind weit entfernt zu sein. Hier stand die Luft still und roch kräftig nach Harz, süßer Fäulnis und nasser Erde. Das Licht war trüb; Kletterpflanzen und Bäume wanden sich schlangengleich umeinander, wie aus einem Material geschnitzt, das zugleich erstarrt und beweglich, tot und lebendig war. Alles war grün; grün vor Wachstum, grün vor Moos oder grün vor Fäulnis. Noch der dunkelste Schatten hatte einen Jadeton. Umgestürzte Bäume, von dunklen Kletterpflanzen umrankt, lagen da wie aufgegebene und vor sich hin rostende U-Boote am Grund einer düsteren, graugrünen See.
    Nicholas hielt das Gewehr in der rechten Hand und hatte den Lauf über den rechten Unterarm gelegt. Der Riemen der Sporttasche schnitt ihm in die Schulter. Er war weit entfernt vom spärlichen Verkehr auf der Carmichael Road, und das Risiko, dass ihn jemand sah, war sehr gering. Es war gleich null, verbesserte er sich.
    Als er über dicke Wurzeln stieg und sich unter tiefe, feuchte Äste duckte, kam ihm zu Bewusstsein, dass er auch als Kind, wenn er den Wald mit Tristram erkundet hatte, nie andere Kinder hier spielen sah, keine rauchenden Teenager, keine Rentner, die Vögel beobachteten. Andere Parks in anderen Städten waren Rückzugsgebiete für Teenager oder Penner, aber Nicholas hatte in diesem Wald nie auch nur eine einzige Bierdose oder einen Milchkarton gefunden. Es war ein verfluchter Ort, die Leute wussten es in ihrem Herzen, auch wenn sie nie darüber nachdachten, und blieben ihm fern.
    Eine Weile folgte er der unheimlichen, rückwärtsfliegenden Gestalt eines dunkelhaarigen Jungen in langen Shorts, wie sie in den Sechzigern populär gewesen waren. Er erkannte ihn aus dem Jahrbuch der Schule: Owen Liddy. Aber dessen von nackter Angst entstelltes Gesicht war so schrecklich anzusehen, dass er weit nach rechts abwich.
    Er stöhnte, als er einen neuen Geist sah.
    Ein kleines Mädchen mit rabenschwarzem Haar kam hinter dem breiten Stamm einer Feige hervor und rutschte über eine riesige, flossenartige Wurzel. Blasse Haut, schmale Glieder. Nicholas blinzelte. Es war Miriam Gerlic.
    Er kniff die Augen zusammen.
    Das Mädchen wurde nicht fortgeschleift, es heulte nicht in stummer Furcht. Es runzelte die Stirn und bahnte sich vorsichtig einen Weg über die hinderliche Wurzel. Und es hatte seine Schultasche bei sich. Es war gar nicht Miriam.
    » Hannah?«
    Das Mädchen drehte sich um beim Klang seiner Stimme und war im nächsten Moment von der Oberfläche verschwunden.
    » Deine Tante Vee ist hier, Schätzchen.«
    Hannahs Vater stand in der Tür ihres Zimmers. Austerngraue Säcke hingen unter seinen Augen, und auf seinen Wangen breiteten sich nachlässig Bartstoppeln aus.
    » Okay, Dad.«
    Er nickte und ging in den Flur zurück. Für Hannah hatte er sich über Nacht in einen alten Mann verwandelt: gebeugt, murmelnd, blass.
    Sie lauschte. Vees ansonsten laute und kräftige Stimme rang mit den erschöpften Begrüßungsformeln ihrer Eltern. Die Gittertür zischte und fiel zu. Hannah setzte sich in ihrem Bett auf und legte ihr Buch beiseite. Mum und Dad fuhren weg. Sie wollten ihr nicht sagen, wohin, aber da sie auch nicht wollten, dass sie mitkam, konnte sie sich drei Möglichkeiten vorstellen: a) zur Polizei, b) ins Leichenschauhaus (wo man tote Menschen aufbewahrte) oder c) zu dem Geschäft für Grabsteine. Tante Vee würde während ihrer Abwesenheit auf sie aufpassen.
    Tante Vee war die jüngere Schwester ihrer Mutter. Sie war angenehm mollig, rauchte und fluchte und war Katholikin, und sie konnte sich immer noch lautstark darüber aufregen, dass ihre Schwester aus der Kirche ausgetreten war. Aber das Thema der unvergänglichen Liebe der Gottesmutter würde erst später zur Sprache kommen, erst einmal gab es Umarmungen, Tränen und Essen.
    Kurz darauf stand Hannah auf der Eingangsveranda, Vee hatte ihre haarigen Wurstarme um sie geschlungen, und sie winkte Mum und Dad nach, die in ihrem Wagen rückwärts aus der Einfahrt setzten und etwas zueinander sagten, das sie nicht hören konnte. Als Hannah zu Vee aufblickte, lächelte die, aber ihre Augen waren

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