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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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gerötet und nass. » Komm, lass uns essen!«, sagte sie.
    Während Vee ein Mittagessen zubereitete, das für eine Zirkustruppe gereicht hätte, ging Hannah leise in den Waschraum, um die Sachen zu stibitzen, die sie nachts aufgelistet hatte. Mückenspray. Streichhölzer. Die lokale Zeitung. Sie suchte nach allem, auf dem » entflammbar« draufstand und fand eine halbvolle Plastikflasche Methylalkohol. Dann schlich sie langsam durch die Küche, um noch zwei Dinge zu holen. Vee stand neben der Spüle, butterte Brote und furzte wie ein Clydesdale, weshalb sie nicht bemerkte, wie Hannah vorbeischwebte.
    Zu Mittag aß Hannah nur spärlich. Als Vee sie danach fragte, warum sie nichts aß, probierte Hannah ihren ersten Schachzug. » Mir geht’s nicht so gut«, sagte sie leise. Es wirkte wie ein Zauberspruch. Vee biss sich auf die Lippen, kam um den Tisch und umarmte sie. » Natürlich nicht, natürlich.«
    Hannah versuchte ihr Glück weiter. » Ich habe nicht viel geschlafen letzte Nacht«, sagte sie. » Was dagegen, wenn ich mich ein bisschen hinlege?«
    Vee sah erleichtert aus. » Nein, mach nur, Schätzchen.«
    Hannah legte sich auf ihr Bett und las exakt eine halbe Stunde, dann schlich sie sich ins Wohnzimmer. Vee lag schnarchend auf der Couch, die feisten Knöchel sittsam überkreuzt.
    Hannah eilte in ihr Zimmer zurück und packte die geklauten Sachen in ihren Schulrucksack, dann drehte sie ihr Nachthemd und ihren Trainingsanzug zusammen und schob alles unter die Decke, so dass es für einen flüchtigen Blick aussah, als würde sie noch in ihrem Bett liegen.
    Sie schlich zur Hintertür hinaus.
    Es dauerte keine fünf Minuten, bis sie zur Carmichael Road getrabt war. Sie hielt auf dem Fußpfad gegenüber dem Wald, mehr oder weniger an derselben Stelle, an der Nicholas Close vor zwei Tagen gestanden, das Schild gelesen und sie beobachtet hatte. Die Tafel über das Bauvorhaben war inzwischen in schwarzes Plastik verpackt, und der Anblick ließ Hannah frösteln.
    Sie sah nach links und rechts, dann überquerte sie die Carmichael Road zu dem Streifen mit dem hohen Schwertgras. Vor ihr ragte die Baumreihe auf, sie winkte ihr zu, der Wind schüttelte die Blätter wie zum Applaus für ihr Erscheinen. Oder zischten sie eine Warnung?
    Ein Erwachsener hätte gezögert. Ein Erwachsener hätte sich gefragt, ob sie nicht im Begriff war, einen gefährlich dummen Gang zu unternehmen. Sie hatte selbst gezweifelt. Aber hatte die Polizei nicht immerhin einen geständigen Mörder verhaftet? Sie hatte sich gefragt, wie um alles in der Welt sie eine schwarze Flut von Spinnen an ihrem Fenster sehen konnte, die sich mit einer Intelligenz an den Verschlüssen zu schaffen machte, die man bei Tieren ihrer Gattung noch nie beobachtet hatte. Sie hatte sich verflucht, weil sie nichts unternommen hatte, als ihre Schwester geraubt wurde. Aber Hannah war jung, und ihre Zweifel waren nicht erwachsen, vielmehr zweifelte sie an Erwachsenen. Sie wusste, dass sie richtig gesehen hatte. Sie wusste, dass sie sich das kristallene Einhorn, das sie anlocken sollte, nicht eingebildet hatte. Sie war wütend, weil man sie täuschte. Sie wusste Dinge, die sonst niemand wusste, und sie hatte keine Wahl: Sie musste etwas unternehmen. Sie trat zwischen die Bäume, und es wurde schlagartig dunkel.
    Als Hannah in den Wald ging, war es, als würde sie unter Wasser sinken. Das feuerartige Knistern des Winds in den hohen Blättern wurde immer leiser, die Schatten wurden dicht und flüssig. Einzelne Sonnenstrahlen drangen dünn wie Angelruten durch das Blätterdach. Die einzigen deutlichen Geräusche waren das Patschen ihrer Schuhe auf dem feuchten Laub und den durchtränkten Zweigen, und ihr Atem, der immer schneller ging. Es war sehr anstrengend voranzukommen, sie musste über Baumstämme mit Moospelzen klettern und unter den Schlingen von Kletterpflanzen durchkriechen. Um zehn Meter voranzukommen musste sie noch einmal zehn Umwege über verdrehte Baumstämme und unter gierigen Dornenzweigen hindurch einlegen. Das Ganze würde eine Weile dauern.
    Nach zwanzig Minuten war sie schweißnass und erschöpft. Sie strich nasses Laub von einem Baumstamm, setzte sich und holte eine Wasserflasche aus ihrem Rucksack. Während sie trank, machte sie eine Inventur ihrer anderen Güter: Insektenspray, ein Schälmesser, dessen Klinge sie in Alufolie gewickelt hatte, damit sie nicht durch den Rucksack drang, die halbleere Flasche Methylalkohol, Zeitungen, Streichhölzer. Nachdem sie

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