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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Schärpe zurückgehalten. Eine hohe Kiefernkommode, schmal und aufrecht wie ein Butler, enthielt bemaltes Geschirr und glasierte Figürchen. Ein weiterer Vorhang, einer aus Spitze, der ihn zu sehr an Spinnweben erinnerte, gab nur einen scheuen Blick auf ein ordentlich gemachtes Messingbett mit einer geblümten Tagesdecke frei. Auf der andern Seite des Raums, in dem er lag, waren die Bodendielen kreisförmig ausgeschnitten. Sauber verputzte Steine säumten den Ring: eine Feuerstelle, in der Kohlen matt glühten. Am andern Ende der Feuerstelle lag eine Decke, gefaltet und vom Gewicht eines Haustiers niedergedrückt – Garnock, nahm er an, aber das Ungeheuer war nirgendwo zu sehen.
    » Ja«, sagte er und erkannte das trockene Rasseln seiner eigenen Stimme kaum wieder.
    Quill nickte und sah ihn an.
    Wieder hatte Nicholas das Schwindel erregende Gefühl, sie durch träg schwappendes Wasser zu sehen, oder wie in einem Hologramm, in das er im Vorbeigehen einen Blick warf: Ihre Züge schwammen im unbeständigen Feuerschein, oszillierten zwischen alt und jung, grässlich und schön. Nur der Ausdruck ihrer Augen blieb starr und kalt.
    Er beugte einen Arm. Der Strick schnitt in sein Handgelenk.
    » Wo ist Hannah?«, fragte er.
    Quill schaukelte. » Still.«
    Während sie hin und her schaukelte, in und aus dem Halbdunkel, wuchsen und schwanden ihre doppelten Ichs. Hinter ihr verblassten die letzten Farben des Tages am Himmel.
    » Sie können nicht …«
    » Still, sagte ich!«, befahl sie, und ihre Stimme schien die Flammen hinter der Ofentür anzufachen. Der Raum tanzte. Sie erhob sich halb aus ihrem Stuhl, und die junge Rowena Quill, blass, blond und beängstigend schön, beugte sich vor. Ihre dunklen Augen funkelten vor Wut. Dann fing sie sich, bezähmte ihren Zorn und setzte sich wieder – ihre Haut kräuselte sich wieder in lederartigen Furchen. Sie legte die Hände zusammen und sah ihn an.
    » Du denkst, du weißt Bescheid«, flüsterte sie. » Aber du kannst nichts wissen.«
    Sie blickte wieder in die Flammen. Während sie schaukelte, bemerkte Nicholas etwas an der Wand hinter ihr. Es war eine Art Kalender, aber aus Holz, mit beweglichen, eckigen Holzplättchen, die in Löchern steckten; es sah aus wie ein Brettspiel für Kinder aus der viktorianischen Zeit. Doch die Plättchen waren mit merkwürdigen Symbolen verziert: stilisierte Jahreszeiten, Runen, Mondphasen. Der Rahmen des Bretts war aufwendig geschnitzt; auf der oberen Seite starrte der Grüne Mann mit Augen schwarz wie Brunnen aus einem Gesicht aus Eichenlaub.
    » Ich habe so viel zu erzählen, so viel«, flüsterte Quill. » So viele Geschichten. So viele Jahre.« Sie sprach sehr leise, und ihre Lippen bewegten sich kaum, so dass Nicholas sich fragte, ob er ihre Stimme in seinem immer noch benebelten Kopf vielleicht nur träumte. » Kannst du dir meine Freude vorstellen, als ich von deiner Mutter erfuhr, dass du ein Samhain-Kind bist?« Sie sprach das Wort genauso aus wie Suzette: Sah-wen. Ein üppiges, volles Wort. Quill wandte ihren Blick Nicholas zu. » Ein besonderes Kind. Ein Kind mit dem zweiten Gesicht. Und du hast es. Ich sehe es in deinen Augen. Die Augen eines Totengräbers. Ein Bauch voller Traurigkeit, der zu meinem passt.«
    Die alte Frau war plötzlich verschwunden, und die junge Rowena Quill saß in demselben Kleid da, der Kragen saß so lose um die bleichen Schultern, dass man die Rundung der Brüste darunter sah. Ihre Lippen waren rot wie Blut. Dann knisterte ein Scheit im Feuer, und die alte Frau saß wieder im Schaukelstuhl.
    Nicholas sah sie an. » Warum haben Sie dann versucht, mich zu töten?«
    Quill betrachtete ihn eine ganze Weile. » Oh, das habe ich nie versucht.«
    » Sie haben einen Vogel für mich ausgelegt«, sagte er. Das Reden fiel ihm schwer, da ihm sein eigenes Gewicht auf die Rippen drückte. » So wie für Hannah. Und Gott weiß, wie viele andere Kinder.«
    Zorn flammte erneut in ihren Augen auf, wurde aber ebenso rasch wieder verborgen.
    » Aber nie für dich. Der Vogel, den du gefunden hast, war für deinen Freund, und er hat ihn ja auch tatsächlich erreicht. Mit deiner Hilfe. Ich ließ dir von Gavin Boye ein kleines Lügenmärchen auftischen, um dich hierherzulocken.« Sie blinzelte – ein runzliger Schließmuskel. » Du hast es als das gesehen, was es war, nicht als das wertlose Schmuckstück, als das ich es gesehen haben wollte. Du hast einen toten Vogel gesehen. Dein blonder Kumpel hat einen hübschen Zinnhusar

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