Der Sog - Thriller
bewachsene Wurzeln. Krakelige Zweige zerkratzten sein Gesicht, und dunkle, stechende Blätter klatschten ihm an den Kopf. Parasitenranken, dick wie Handgelenke und mit grauem Pilz gesprenkelt, ringelten sich wie gestürzte Fragezeichen, lauernd und würgebereit. Die breiten, gestreiften Stämme einheimischer Ulmen und alter Feigen waren nur eine Armspanne entfernt, und das Blätterdach darüber wurde immer dichter, bis es fast wie ein Festkörper war und nur winzige Himmelssaphire in die smaragdgrüne Düsternis darunter blinkten. Es war dunkel wie zur Dämmerung. Die feuchte Luft war so kalt, dass sie in Nicholas’ Kehle brannte.
Der Abstand zwischen ihm und dem Jungen wurde größer. Nicholas rannte schneller.
Das Gesicht des kleinen Thomas tanzte verschwommen auf und ab. Sein kleiner, freier Arm kratzte an Bäume, griff lautlos nach feuchten, grünfleckigen Stämmen. Er flog eine steile, schiefrige Anhöhe hinauf.
Nicholas’ Lungen brannten, während er zu folgen versuchte. Was würde er sehen, wenn der Junge schließlich anhielt? Wie er kämpfte? Flehte? Nach seiner Mutter schrie, wenn sein unsichtbarer Mörder ihn zwang niederzuknien, und seine weiße Kehle sich öffnete? Würde er Tristram finden, das Gesicht erstarrt, während von hinten ein Messer kam?
Würde er den Mörder selbst finden?
Nicholas wurde übel. Er hatte keinen Plan. Was, wenn er in ein behelfsmäßiges Lager mitten im Wald stolperte, direkt in die Arme eines Mannes mit kalten Augen, einem Messer am Gürtel und einem Gewehr in den Händen?
Du endest noch genau wie der kleine Thomas. Wie Tristram.
Mit diesem Gedanken im Kopf erreichte er den Kamm der Anhöhe – und dahinter ging es senkrecht ins Leere.
Mit knapper Not gelang es ihm, vor einem tief eingeschnittenen Wasserlauf zu bremsen. Seine Arme ruderten kurz, dann fand er sein Gleichgewicht und trat vorsichtig vom Rand zurück. Dahinter fiel das Gelände mehrere Meter tief zu einem schmalen, steinigen Bachbett ab. Er rang nach Atem und sah sich um.
Der kleine Thomas war verschwunden.
Er empfand Enttäuschung und zugleich schuldbewusste Erleichterung, dass er nicht mit ansehen musste, wie der Junge starb. Er konnte umkehren und sich sagen, dass er es zumindest versucht hatte. Und zu Hause, mit genügend Abstand zwischen ihm und diesen sonnenlosen Bäumen, würde er sich einreden können, dass es besser war, nie mehr hierher zu kommen.
Verräter. Feigling.
» Halt den Mund«, flüsterte er.
Er wandte sich zum Gehen.
Doch dabei trat er auf einen versteckten Stein, der nass vom Moos war, und sein Fuß schoss unter ihm weg ins Leere. Sein Körper folgte einen Wimpernschlag später … und er fiel. Er taumelte mit rudernden Armen die Steilwand des Wasserlaufs hinunter und versuchte, aufrecht zu bleiben. Zornige, mit Zweigen bewehrte Schösslinge ohrfeigten ihn für seine Tollpatschigkeit. Mit einem feuchten Knirschen landete er auf dem Boden des Bachlaufs, wo ein wilder Ingwerstock seinen Aufprall dämpfte.
Sein keuchender Atem klang laut in der Stille. Er rappelte sich unbeholfen auf. Beide Handflächen waren zerkratzt und bluteten. Seine Unterlippe war feucht – als er sie berührte, war sein Finger rot. Ein bisschen Blut, aber nichts gebrochen.
Hier unten schien die Luft noch kälter zu sein, und die Bäume schienen noch dichter zu stehen. Nur in dem schmalen Bachbett selbst wuchsen keine Pflanzen. Im Dämmerlicht ragten die Steine und Felsen aus dem trockenen Bachlauf wie Knochen, die durch Haut dringen. Plötzlich war ihm der Wasserlauf vertraut. Nicholas nickte. Es war ein Vierteljahrhundert her, aber er wusste, wo er sich befand. Er wusste, was vor ihm lag, wenn er dem zerklüfteten Bachbett folgte.
Die bleichen, rund geschliffenen Steine klackerten nervös unter seinen Füßen. Die größeren sahen aus wie Schädeldächer, als wäre das hier ein Totenpfad.
Und genau das ist es.
Die Schatten hinter den Bäumen wirkten hier tiefer, undurchdringlicher, als lauerte dort etwas, geduldig wartend. Hungrig.
Wir rannten. Tristram und ich rannten um unser Leben. Hier ist die Stelle, wo wir uns trennten. Hier …
Dann sah es Nicholas.
Kaum erkennbar inmitten der bemoosten Stämme von Booyongs und Roteschen lag das riesige Wasserrohr vor ihm. Es maß beinahe drei Meter im Durchmesser; seine stählernen Flanken waren zu einem Dunkelrot verrostet, und es ruhte auf einem grün patinierten Betonsockel von einem halben Meter Dicke. Es verlief im rechten Winkel zum Bachbett,
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