Der Sog - Thriller
Dachfirsten von Häusern und kräuselte sich silbern in Pfützen im Rinnstein. Die Luft war rau und rein, und alles fühlte sich … gut an. Nicholas nickte für sich: Ja, alles fühlte sich sehr gut an. Er erreichte den Scheitel der Ithaca Lane und blickte nach unten.
Er blieb abrupt stehen. Seine gute Laune verflog augenblicklich wie Rauch, der vom Wind gestohlen wird.
Am unteren Ende der Ithaca Lane lag die Carmichael Road und dahinter der Wald mit seinen zahllosen, dunklen Bäumen.
Mach einfach kehrt, dachte er. Aber er rührte sich nicht vom Fleck. Der Wald hielt seinem Blick stand, ein breites, sanft gewelltes Locken. Von dieser kleinen Anhöhe aus konnte er seine Ausmaße fühlen. Ein riesiges, schiefes Quadrat aus silbergrünen, smaragdgrünen, olivgrünen und chalcedonblauen Baumwipfeln, jede Seite mehr als einen Kilometer lang, das sich in Anstiegen und Tälern bis zum braunen Fluss in der Ferne erstreckte. Warum war er immer noch so beunruhigend? Beim Blick auf seine unergründliche Oberfläche hatte Nicholas das Gefühl, als seien die Bäume bloßes Furnier: ein Deckmantel über einem düsteren Geschöpf, dessen Gestalt verborgen blieb und dessen Herz so kalt wie tief liegende Erde war.
Ich gehe nicht an ihnen vorbei. Nicht heute. Er wandte sich zum Gehen, in die Richtung, aus der er gekommen war. Aber im selben Moment nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr.
Auf dem Pfad durch den Grasstreifen, der den Wald säumte, kniete ein Junge.
Nicholas’ Blut schien plötzlich zäh wie Sirup zu fließen. Es war, als wären fünfundzwanzig Jahre Leben einfach von ihm abgefallen und er wäre wieder zehn.
Der Junge beugte sich vor, um auf die Stelle zu spähen, wo der kleine Nicholas vor so vielen Jahren den toten Vogel mit dem geflochtenen Kopf gefunden hatte.
Nicholas wurde schlecht. Es ist Tristram.
Dann blickte der Junge auf und sah sich um, und Nicholas erkannte, dass es nicht sein Freund aus Kindertagen war. Doch er kannte das Gesicht des Jungen. Der hünenhafte Polizist hatte ihm vor vier Abenden ein Foto von ihm gezeigt. Es war der tote kleine Thomas.
Das Kind bückte sich tiefer, um etwas auf dem Weg zu berühren.
Nicholas fühlte seinen Magen kalt werden. Dreh um, dachte er. Geh nach Hause. Vergiss es. Er ist tot. Er ist ein Traum. Wie Cate ist er nicht wirklich hier, er kann nicht hier sein. Er ist nicht mehr unter uns …
Aber er konnte nicht umdrehen. Abscheu durchflutete ihn. Er wollte sehen, was als Nächstes geschah.
Das tote Kind erhob sich auf strohhalmdünnen Beinen, ließ mit entsetzter Miene etwas fallen und wischte sich die Hände an der Hose ab. Dann straffte sich sein Körper wie eine Katze, wenn sie Donner hört, und es wandte das Gesicht dem Wald zu. Sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei, und plötzlich wurde ein Arm ruckartig gerade gerissen, wie von etwas Unsichtbarem und Kräftigem gepackt, und Dylan Thomas flog rücklings in die Bäume.
Nicholas’ Herz fiel plötzlich wieder ein, dass es pumpen musste. Ohne zu überlegen, rannte er den Hügel hinunter, über die Carmichael Road und durch das hohe, feuchte Gras in den Wald.
Dylan Thomas wurde von einer nicht greifbaren Kraft gezogen, sein helles Haar strömte ihm über das blasse Gesicht, während er zwischen den Baumstämmen dahinflog. Wo ihn die Sonne traf, leuchtete er heller, wie ein Staubkorn, das von Scheinwerferlicht erfasst wird.
Nicholas strengte sich an, Schritt zu halten. Schon machte sich der messingscharfe Schmerz eines Seitenstechens bemerkbar, und seine Atemzüge kamen unregelmäßig und unzulänglich. Wann war er zuletzt so gerannt? Es war Jahre her. Er sollte stehen bleiben, nach Hause gehen … Doch der Anblick des toten Jungen, der immer wieder kurz zwischen den Bäumen auftauchte, ließ ihn weiterlaufen.
Der Wald wurde rasch dichter, auf dem feuchten Grund zwischen den Stämmen von Lophostemon confertus und Stechäpfeln drängten sich Schösslinge und Wandelröschen, üppige Schlingpflanzen, heruntergefallene Äste und Spinnweben, in denen kalte Tropfen glänzten.
Vor ihm zeigte der Arm des Jungen geradeaus wie eine Kompassnadel, und sein Körper sauste hilflos rudernd hinterher. Doch seine dunklen Augen blickten resigniert. Sie waren fest auf Nicholas gerichtet.
Nicholas’ Atem ging hart und schnell. Er lief so schnell er konnte. Seine schweren Füße pflügten durch einen knöcheltiefen Brei aus nassem, verfaulendem Laub. Seine Schienbeine stießen an dicht mit Moos
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