Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
Mannes, der in dieser Zeit mehr als andere erlebt hatte. Sein Anzug war teuer, aber zerknittert. Seine Krawatte war ordentlich gebunden und sein Haar sorgfältig gekämmt. Er hatte sich rasiert, aber kleine Büschel von Barthaaren standen vor wie Schilf aus einem grauen Sumpf. Die Haut unter seinen Augen sah dünn wie altes Hühnerfleisch aus; die Augen selbst waren blau und zu strahlend.
    Drogen, dachte Nicholas. Gute Drogen, die Schlaftabletten mehr als wettmachen. Der Bursche ist high.
    » Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er vorsichtig.
    Er hat sich verlaufen. Er versucht nach einer durchgemachten Nacht nach Hause zu kommen und braucht ein Telefon, ein Taxi, einen Zwanziger.
    Aber der Mann sagte nichts. Er sah Nicholas einfach an und unterdrückte erfolgreich ein Lächeln. Sein Gesichtsausdruck war … ja was? Verzweifelt? Hungrig? Gehetzt?
    Ja. Gehetzt.
    Schließlich sprach der Mann: » Nicholas.«
    Nicholas blinzelte. Die Stimme kam ihm entfernt bekannt vor. Dann schlich sich das kleine Lächeln wieder auf die Lippen des Mannes, und die Jahre fielen von ihm ab. Nicholas erkannte ein Gesicht, das er nie im Erwachsenenalter gesehen hatte. Es war ein Gesicht, zu dem er früher im Wortsinn aufgeschaut hatte. Ein Boye-Gesicht.
    » Gavin?«
    Gavin grinste. Es war das Grinsen eines Totenschädels.
    » Mann, Gavin. Du siehst …« Nicholas streckte ihm die Hand entgegen. Gavin schaute, als hätte er noch nie eine ausgestreckte Hand gesehen. Nach einer peinlichen Pause ließ Nicholas sie wieder sinken. » Gut. Äh. Sag … willst du hereinkommen?«
    Das Lächeln verflog, und die Jahre stülpten sich wieder über Gavins Gesicht. Er schüttelte den Kopf und sah Nicholas an, ohne zu blinzeln. Er war groß, locker eins fünfundachtzig, und Nicholas hatte den Verdacht, dass er sich schnell bewegen konnte. Also immer mit der Ruhe …
    » Wie geht es dir? Wie geht es deinen Eltern?«
    Gavin antwortete nicht. Stattdessen blickte er langsam über seine linke Schulter und dann über die rechte. Über Kiefern in einem fernen Park kreiste ein rundes Dutzend Krähen am grauen Himmel wie Asche im Wind. Gavins Bewegungen ließen Nicholas plötzlich bis ins Mark frösteln. Genau das hat Winston Teale getan, und dann jagte er Tristram und mich in den …
    » Wald«, sagte Gavin.
    Nicholas stockte der Atem. Seine nackten Füße kribbelten, als wären sie eingeschlafen, und in seinem Nacken bildete sich eine kalte Gänsehaut. Die Straße hinter Gavin war leer, weit und breit war keine Menschenseele in Sicht.
    » Du bist ziemlich früh unterwegs.« Nicholas wollte, dass es ungezwungen klang, aber die Worte kamen als ein Krächzen heraus, da seine Kehle plötzlich trocken wie Sand war. » Sollen wir uns ein andermal treffen? Du kannst zum Abendessen kommen. Suzette ist zu Besuch.«
    Gavin schüttelte einmal langsam den Kopf. Nicholas bemerkte, dass er in einer Hand etwas trug, das in eine schwarze Mülltüte gewickelt war.
    » Man hat mir gesagt, dass du wieder da bist«, sagte Gavin. Seine Stimme war leise. Verträumt. Er nickte, als wäre ein heikler Meilenstein geschafft.
    Nicholas fiel es schwer, den Blick wieder auf Gavins Gesicht zu richten. Es war, als würde man in die Sonne blicken, schmerzhaft und gefährlich. Gavin war außer Kontrolle, ein Boot, das führerlos über Stromschnellen jagte und auf den Wasserfall zutrieb – aber immer noch schwamm.
    » Ja, ich bin wieder da. Was ist in der Tüte, Gavin?« Nicholas glaubte es jedoch bereits zu wissen.
    Gavin verdrehte den Kopf, als hätte er die Frage nicht gehört. Er wanderte in der Zeit zurück. Erinnerte sich. Er lächelte – noch so ein Totenschädelgrinsen. » Mum hatte Nachhilfelehrer für uns beide, weißt du. Tris brauchte eigentlich keinen. Mum hat ihm nur einen besorgt, damit ich mir nicht dumm vorkam.«
    » Du bist ein kluger Kerl, Gavin. Du warst nie dumm.«
    » Tris …«, sagte Gavin liebevoll, und seine Stimme verlor sich irgendwo » Trissy war der Gescheite von uns beiden.«
    Nicholas beobachtete den großen Mann, der vor ihm stand und dessen Augen Jahrzehnte weit entfernt waren. Schnell, flüsterte es in seinem Kopf. Mach die Tür zu, sofort!
    In diesem Moment flatterten Gavins Augen und bohrten sich in Nicholas’. Er erinnerte sich an eine Aufgabe. » Ich bringe eine Nachricht«, sagte er.
    Mit einer Bewegung, so schnell und flüssig, dass Nicholas sie kaum registrierte, zog Gavin eine Waffe aus der Tasche. Es war ein Jagdgewehr, so kurz abgesägt, dass der

Weitere Kostenlose Bücher