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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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gleichstarke Gegenreaktion. Es gibt nichts umsonst. Man muss sich anstrengen. Man muss Opfer bringen.«
    Sie sah, wie Nicholas beim letzten Satz erstarrte.
    Dann blickte sie auf. Sie waren an einer Kreuzung angelangt. Rechts von ihnen, hinter Pfützen aus Laternenlicht und im Dunkeln liegenden Gartenzäunen, lugte ein gedrungenes Gebäude unter schweren Brauen hervor. Die Läden. Suzette spürte eine vertraute alte Angst in ihrem Bauch rumoren.
    Sie hatten die Myrtle Street erreicht.
    Sie traten unter die Markise, und ihre Schritte hallten auf den Fliesen. Der Abend hatte sich höchst sonderbar entwickelt. Suzette – die vernünftige Suzette, die er vorwiegend in Bücher über Finanzmarkttheorien vergraben kannte – beschäftigte sich mit Zauberei? Und sein Vater ebenfalls? Nicholas strich sich ein paar Haare aus dem Gesicht. Sie fühlten sich unangenehm wie Spinnweben an, und er schauderte.
    Die Läden waren alle verriegelt und dunkel.
    Er hatte erwartet, sie würden sofort von freudigen Erinnerungen an früher überspült werden und über die Lutscher lachen, die sie vernascht hatten, und die Eissorten, die sie am liebsten gemocht hatten, und die es nicht mehr gab. Stattdessen wirkten die stummen Ladenfronten seltsam feindselig. Sie waren aufgewachsen in dieser Stadt; sie sollte sich nicht so düster, so beunruhigend anfühlen.
    Es kommt daher, dass wir beobachtet werden.
    Der Gedanke rauschte durch ihn wie ein Schuss Wodka. Auf den Straßen war es ruhig. Nichts rührte sich. Sie waren allein.
    » Mrs. Fergusons Obstladen«, sagte Suzette.
    Er drehte sich um. Suzette spähte in das Fenster des gescheiterten tibetischen Restaurants, die leeren Vitrinen und nackten Regale waren im Schein einer fernen Straßenlampe schwach erkennbar. » Sie hatte noch eine alte britische Waage, erinnerst du dich? Sie hat die Gewichte in metrische Einheiten umgerechnet, und zwar alles im Kopf.«
    Mrs. Ferguson. Eine freundliche, rundliche Dame mit einem Goldzahn, die immer einen Bleistift hinter dem Ohr stecken hatte. Er erinnerte sich.
    » Ja. Und daneben dieser alte Taschenrechner von Texas Instruments, der die Größe eines Ziegelsteins hatte? Nur um den Kunden zu beweisen, dass ihre Ergebnisse stimmten. Und sie stimmten immer. Hey, wir sollten lieber gehen.«
    Doch Suzette starrte gedankenverloren in das Fenster. » Wusstest du, dass sie mir Nachhilfe gegeben hat?«
    Nicholas war überrascht. » Mrs. Ferguson? Wann? Wo?«
    » An den Abenden, an denen du Fußballtraining hattest. Im Hinterzimmer ihre Ladens. Ich habe es gehasst.«
    » Du hast Rechnen gehasst? Aber du warst doch so eine gottverdammte Streberin …«
    » Nicht das Rechnen. Auch nicht Mrs. Ferguson. Aber da hinten zu sein … das habe ich gehasst.« Sie schauderte.
    Hier und jetzt, da die Welt mehr Schatten als Substanz war, und der Wind die Stromleitungen ächzen ließ, konnte er es verstehen. Und wieder erfasste ihn dieses Gefühl: Wir werden beobachtet.
    » Wir sollten gehen«, wiederholte er.
    » Okay«, sagte Suzette. Doch statt zu gehen, nickte sie in Richtung des neuen Ladens: Plough and Vine Health Foods. Alles, was sie im Schaufensterglas sahen, waren ihre eigenen gespenstischen Spiegelbilder. Der Laden dahinter war schwarz wie das Wasser eines tiefen Brunnens.
    » Das war Jay Jay’s.« Suzette lehnte sich an die Scheibe und versuchte hineinzusehen. Nicholas musste den verrückten Drang unterdrücken, » zurück« zu rufen. » Erinnerst du dich an die alte Näherin?«, sagte Suzette. » Mrs. Quill? Sie hat mir eine Heidenangst gemacht. Sie war der Grund, warum ich es hasste, nachts hierherzukom-
men.«
    Nicholas hatte eine vage Erinnerung an eine alte Frau mit gebeugtem Rücken, die hinter einem zu großen Ladentisch hockte wie ein gutmütiger alter Papagei, nickend und ihn anlächelnd, wenn er vorbeiging. Hinter ihr hingen Hemden, Hosen, Röcke und Kleider, die ihn immer an ein Bild erinnerten, das ihn während seiner Grundschulzeit eine Weile bis in seine Träume verfolgt hatte: Es stammte aus einem Buch über den Zweiten Weltkrieg, ein Foto von rund einem Dutzend Russen – Männer, Frauen, Kinder –, die tot und schlaff an einem riesigen, blätterlosen Baum hingen. Er fröstelte, und dabei kehrte eine weitere Erinnerung zurück.
    » Du hast es gehasst, an diesen Läden vorbeizugehen«, sagte er. » Als du klein warst. Du hast immer geweint.«
    Suzette runzelte die Stirn. Die Linie zwischen ihren Augenbrauen war genau wie bei ihrer Mutter. Sie nickte

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