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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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halten. Wie konnte seine Mutter, seine praktisch veranlagte, nüchtern denkende Mutter mit einem Mann zusammenleben, der solche Bücher las? Aber das hatte sie natürlich auch nicht getan. Nicht lange jedenfalls. Ihre Ehe hatte gerade einmal vier Jahre gehalten.
    Nicholas zog die Bücher einzeln heraus und stapelte sie an der Seite. Wonach suchte er? Würde er all diese traurigen Bände der Reihe nach durchgehen müssen?
    Nein. Es ist hier.
    Drei Bücher waren noch übrig. Er hob Der Fluch von Machu Picchu heraus und hielt inne. Darunter lag ein Buch, das anders war als alle andern. Es war ein schmales, mit Heftklammern gebundenes Ding und hatte einen dicken Papiereinband in Gelbsuchtgelb. In der Mitte des Einbands war eine Radierung des Hauptgebäudes der Tallong State School. Der Titel lautete: 75 Jahre Tallong S.H.S. – 1889-1964.
    Nicholas’ Puls beschleunigte. Er klappte das Büchlein auf.
    Der Inhalt war in drei Kapitel unterteilt: die ersten fünfundzwanzig Jahre, dann 1914 bis 1939 und 1940 bis 1964. Die einzelnen Kapitel enthielten Schwarzweißaufnahmen von Schulleitern, von Gebäuden, die errichtet wurden, vom Besuch eines Gouverneurs und natürlich Jahrgangsfotos von Schülern, die in Viererreihen dasaßen, ihre Lehrer fröhlich, müde oder pflichtschuldig lächelnd in der
Mitte.
    Gab es hier ein Foto seines Vaters? Nicholas blätterte zum Ende des Buchs. Dabei fiel eine Seite heraus und sank wie eine Feder zu Boden. Er hob sie auf. Nein, es war keine Seite. Es war ein Zeitungsausschnitt, gelb und spröde: eine gestutzte Anzeige für einen Wäschetrockner. Er drehte den Ausschnitt um. Als er die Überschrift des kurzen Artikels las, wich ihm das Blut aus dem Gesicht.
    » Junge verschwunden – Polizei bittet um Hinweise«.
    Es dauerte eine halbe Minute, den Artikel zu lesen. Ein zwölfjähriger Junge namens Owen Liddy war an einem Samstagmorgen von seinem Zuhause in der Pelion Street aufgebrochen; er wollte mit der Bahn zur Central Station fahren und eine Modellflugzeugausstellung in der Stadthalle besuchen. Als er um vier Uhr nachmittags nicht wieder zurück war, begann sich seine Mutter Sorgen zu machen. Besucher der Ausstellung wurden befragt; niemand erinnerte sich, einen Jungen gesehen zu haben, auf den Liddys Beschreibung passte. Die Polizei bat um Informationen aus der Öffentlichkeit.
    Nicholas las den Artikel noch einmal. Dann bemerkte er, dass die letzte Seite des Schuljahrbuchs mit einem Eselsohr versehen war. Er nahm es zur Hand und schlug die markierte Seite auf.
    Sie zeigte das Bild einer siebten Klasse von 1964. Ein grinsendes Mädchen mit Zöpfen hielt eine Tafel mit dem Namen der Klasse hoch: 7C. Doch es war das Gesicht eines kleinen, lächelnden Jungen, dem dritten in der zweiten Reihe von hinten, auf das Nicholas’ Blick fiel. Das Gesicht war mit dunklem Bleistift eingekreist. Er wandte sich der Bildunterschrift zu: » Von links nach rechts: Peter Krause, Rebecca Lowell, Owen Liddy …«
    Nicholas starrte lange auf den Ausschnitt. Was hatte er zu bedeuten? Hatte sein Vater den Jungen gekannt? Unwahrscheinlich – Donald Close ging 1964 bereits auf die zwanzig zu. Der Bruder eines Freunds, vielleicht? Möglich. War der Junge wohlbehalten wieder aufgetaucht? Nicholas hielt es für unwahrscheinlich; warum sollte sein Vater dann den Zeitungsausschnitt aufgehoben haben. Es gab nur eine Antwort.
    Dad wusste etwas.
    Ein Junge war verschwunden, und Donald Close hielt sein Verschwinden für auffällig genug, dass er den Artikel aufhob. Ihn beinahe zehn Jahre lang aufhob, bis er selbst aus dem Leben seiner Familie verschwunden war und später in Stücke gerissen wurde, als sein schleudernder Wagen von einem betonierten Fahrbahnteiler aufgeschlitzt wurde. Aber er hat den Ausschnitt hinterlassen, dachte Nicholas. Er hat ihn mit seinen Büchern hinterlassen.
    Er hat ihn für uns hinterlassen.
    Er faltete den Ausschnitt und steckte ihn in die Hosentasche. Draußen war der Morgen grau, und die Luft in der Garage war kalt.
    Eilig räumte er die Koffer wieder auf die Bretter unter der Decke; er konnte es kaum erwarten, aus diesem Raum zu kommen, der ungemütlich still wie ein Grab war.
    Nicholas ging ins Haus zurück. Im Flur war es ruhig, und es war eiskalt.
    » Suzette?«
    Er klopfte an ihre Zimmertür, öffnete sie. Ihr Bett war gemacht, ihr Koffer stand offen auf einem Stuhl unter dem Fenster. Ein leises Dröhnen drang von unter dem Haus herauf. Die Töpferscheibe seiner Mutter, das elektrische

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