Der Sog - Thriller
sich.
» Hallo?«
» Selber hallo. Was ist aus › Hallo, meine wunderbare Frau, ich vermisse dich und halte es keine Stunde mehr ohne dich aus‹ geworden?«
» Hey, Süße. Ach so, ja … die Anruferidentifizierung … funktioniert gerade nicht.«
Suzette runzelte die Stirn. » Wie das?«
» Nelson hat meinen Satz Schraubenzieher gefunden und ein bisschen an unserem Telefon herumgedoktert. Das hier ist ein altes Telefon, das ich im Keller gefunden habe. Ich glaube, es könnte benutzt worden sein, um die Bedingungen des Versailler Vertrags zu übermitteln. Es hat so ein Drehding.«
» Eine Wählscheibe meinst du?«
» Ich glaube, in Telekommunikationskreisen nennt man es Drehding.«
» Okay. Warum ist Nelson nicht in der Schule?«
Ihr Mann lachte kurz auf. Er klang weiter entfernt als tausend Kilometer. » Das wirst du nicht gern hören.«
» Lass es drauf ankommen.«
» Er wollte nicht gehen.«
Suzette holte tief Luft und befahl sich, keine höhnische Bemerkung zu machen.
» Er wollte nicht gehen. Hatte er einen triftigen Grund?«
» Er sagte, er mag seine Lehrerin nicht, weil sie nicht nett zu ihrem Mann ist.«
» Nicht nett … zu ihrem … wie bitte? Ich kapier es nicht.«
» Nelson sagt, sie ist mit ihrem Mann verheiratet, aber küsst einen andern.«
Suzettes neuer Kaffee traf ein, und sie bemühte sich, dem jungen Kellner nicht auf den Hintern zu starren, als er davonschlenderte. » Ich verstehe es immer noch nicht. Hat er gesehen, wie sie einen andern Lehrer geküsst hat?«
» Nein.«
» Aber woher …«
Plötzlich verstand sie. Nelson wusste es einfach.
» Ach so.«
» Genau«, stimmte Bryan zu.
Ahnungen. Gefühle. Nelson hatte sie, Quincy nicht. Waren Nelsons Vorahnungen so stark wie Nicholas’? Sie wusste es nicht. Sie hatte erst in diesen letzten zwei Tagen angefangen zu verstehen, wie empfänglich Nicholas für unsichtbare Dinge war. Was war das nur im Blut ihrer Familie, das Männern diese merkwürdige Empfänglichkeit gab? Würde Nelson wie Nicholas werden? Sie schauderte bei der Aussicht, dann runzelte sie über sich selbst die Stirn, weil sie so lieblos war.
» Er macht jetzt ein Nickerchen«, erklärte Bryan. » Ich schätze, ein Zweihundertdollar-Telefon auseinanderzunehmen, setzt so einem kleinen Kerl ganz schön zu. Vielleicht kannst du ja später noch einmal anrufen und ihm ein paar Dinge über Frauen, Küsse und fehlgeleitete Liebe und all dieses Zeug erklären, von dem ich nichts verstehe, weil ich mit der Frau meiner Träume verheiratet bin?«
» Damit kommst du nicht weit, alter Charmeur. Ich werde anrufen und ihm erklären, dass er entweder zur Schule geht oder zur See.«
Bryan lachte. » Wie geht es Nicholas?«
» Er … ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Mum sagt, er ist krank.«
» Hm. Und dir?«
Sie hörte die besorgte Schwere in seiner Stimme. Es war klar, was er meinte. Sie hatte einen Mann tot auf der Eingangstreppe ihres Elternhauses liegen sehen. Gott, war das erst gestern gewesen? Das Bild von Gavins Zahnstummeln in seinem zerschmetterten Kiefer drängte wieder in ihren Kopf, und ihr Magen zog sich zusammen.
» Mir geht es gut.«
» Okay. Ruf später wieder an. Und komm bald heim.«
Sie verabschiedeten sich, und dann starrte Suzette mit dem Handy im Schoss auf ihren abkühlenden Kaffee. Der Gedanke an den zusammengesackten Gavin Boye vor der Tür raubte ihr alle Freude über das Gespräch mit Bryan. Warum hatte er sich getötet? Es konnte tausend mögliche Gründe dafür geben, von Steuerbetrug bis Kinderpornografie. Aber warum hatte er sich vor Nicholas’ Augen erschossen?
Tristram. Tristram war die Verbindung, davon war sie überzeugt.
Sie trank ihren Kaffee aus und begann ihre Unterlagen einzupacken. Am Boden des Stapels lag das kleine Notizbuch, das sie immer bei sich trug. Das war die Aufgabe, die sie sich aufgespart hatte. Vor zwei Abenden war sie ganz aufgeregt darüber gewesen, aber aus irgendeinem Grund war es inzwischen etwas, dem sie am liebsten aus dem Weg gegangen wäre. Sie schlug das Notizbuch auf und fand die Skizze von dem merkwürdigen Zeichen am Eingang von Plough & Vine Health Food. Quills Laden, dachte sie.
Sie öffnete ihren Internet-Browser, tippte » Runen« ein und begann mit ihren Nachforschungen.
9
Nicholas konnte nicht umhin, den Angestellten im Minisupermarkt zu bewundern. Der junge Filipino brachte es fertig, Nicholas’ aus Milch, Brot, Erdnusspaste, Toilettenartikel und einer Zeitung bestehenden Einkauf zu
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