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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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scannen, einzutüten und zu kassieren, ohne ein einziges Mal von dem Männermagazin aufzublicken, das er zwischen sein Gesicht und das von Nicholas hielt.
    Nicholas trug die Tüte in das schräg einfallende Nachmittagslicht hinaus. Die perlmuttfarbenen Wolken waren aufgerissen, und warmes Sonnenlicht drang zwischen den Blättern von Palisander- und Satinholzbäumen hindurch. Im nüchternen Tageslicht wirkten die Läden der Myrtle Street in keiner Weise bedrohlich, und die nostalgischen Erinnerungen, die er vor zwei Abenden bei seinem Besuch mit Suzette hier erwartet hatte, stellten sich endlich ein – die Spannung, welche süßen Schätze sich in gemischten Lollies für vierzig Cent finden würden, oder wie viele Pekannüsse ihm Mrs. Ferguson für eine zwölfeckige Fünfzigcentmünze wohl verkaufte, oder das taktile Vergnügen, über eine silbern glänzende Schmetterlingspuppe zu streichen, die er in den Oleanderbüschen vor der Ladenfront gefunden hatte (sie waren inzwischen von Formbäumen ersetzt worden).
    Nicholas schlenderte zur Tür von Plough & Vine Health Foods. Im Laden war es dunkel. Ein Schild » Geschlossen« hing in der Tür, und darunter standen die Öffnungszeiten: 10.00 Uhr – 17.30 Uhr. Er sah auf die Uhr. Es war fünf vor zehn. Sein Blick wanderte zum Türrahmen. Im freundlichen Tageslicht war das Zeichen, von dem er wusste, dass es unter Schichten von weißem Lack lag, nicht sichtbar.
    Er ging zu dem Geländer, das die Fliesen vor den Läden vom Gehsteig trennte, und dann schwang er sich so mühelos, als hätte es die fünfundzwanzig Jahre, seit er es zuletzt getan hatte, nicht gegeben, unter den Handlauf und ließ die Beine über den Betonsockel baumeln. Stillvergnügt öffnete er die Zeitung auf seinem Schoß.
    Ein tiefer gelegter Sportwagen brummte träge vorbei, verfolgt von seinem eigenen Bassdröhnen. Hoch in den schattigen Zweigen stritt eine Familie von Weißstirn-Schwatzvögeln mit einer Elster und zwang sie, über die fernen Dächer davonzufliegen.
    Nicholas fror leicht und fühlte sich ein wenig benommen, doch die Grippesymptome schienen vorbei zu sein. Er öffnete die Zeitung und blätterte zu den Traueranzeigen. Die Seite war voll. Sterben war als Zeitvertreib so beliebt wie eh und je, dachte er. Er ließ den Finger über die erste Spalte wandern, bis er gefunden hatte, wonach er suchte: » Gavin Boye. Überraschend verstorben. Sohn von Jeanette Boye. Mann von Laine Boye.«
    Nicholas blinzelte. Gavin hatte eine Frau gehabt. Er las weiter. » Verwandte und Freunde sind hochachtungsvoll eingeladen …« Er sprang zum Ende der Anzeige. Die Messe würde am folgenden Morgen in der anglikanischen Kirche der Stadt gehalten werden.
    Eine Frau, Laine. Konnte sie mehr Licht auf die Frage werfen, wieso ihr graugesichtiger Mann vor zwei Tagen frühmorgens aufgestanden war, sich seine abgesägte Flinte geschnappt hatte und zum Haus des besten Freundes seines seit langem toten Bruders gegangen war, um eine Nachricht zu überbringen … von wem?
    Eigentlich warst du gemeint.
    War das Gavins eigener Wunsch gewesen, dass Tristram weiterleben und Nicholas mit durchschnittener Kehle und fast völlig ausgeblutet gefunden werden sollte?
    Nein. Das waren nicht Gavins Worte gewesen. Gavin konnte nicht von dem Vogel gewusst haben. An dem Tag, an dem Nicholas Tristram von dem Talisman-Vogel erzählt hatte, war Tristram ja nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Und nach seinem Tod hatte Nicholas nie einen Weg gefunden, den Boyes von dem kleinen, verstümmelten Kadaver zu erzählen, den Tristram berührt hatte, unmittelbar bevor William Teale aus seiner olivgrünen Limousine gestiegen und wie ein Golem auf sie zumarschiert war. Die einzige Person, die Gavin von dem Vogel erzählt haben konnte, war dieselbe, die das tote Ding als Falle ausgelegt hatte.
    Nicholas sah wieder auf die Uhr. Es war nach zehn. Er drehte sich um und sah, dass das Schild an der Tür des Gesundheitskostladens umgedreht worden war. Er ging zur Tür und stieß sie auf. Vom Licht abgewandt war das Zeichen als Relief erkennbar – eine senkrechte Linie mit einem Halbdiamanten. Ein leichtes Schwindelgefühl überkam Nicholas. Er unterdrückte es und trat ein.
    Als er sich umsah, verflog seine Beklemmung. In den Regalen gab es handgemachte Seifen, mit aromatischen Kräutern gefüllte Topflappen, kleine Holzfässer mit Samen, aus denen Messingkellen ragten, wie die Buge fröhlich sinkender Schiffe. Der Laden roch nach Minze, Klee und
Honig.
    Die

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