Der Sog - Thriller
sie immer noch rasend. Es war ihr fremd.
Die Lösung bestand darin, nicht darauf zu achten und mit ihren Alltagsbeschäftigungen fortzufahren, und so begann sie, den lauwarmen Haferschleim zu essen und ihn sich damit schmackhaft zu machen, dass sie nichts verkommen ließ, obwohl er eigentlich weggeschüttet gehörte.
Sie aß gerade die letzten Reste der süßen Pampe, als Suzette in die Küche geschlurft kam. Katharine wies zu dem Topf auf dem Herd. Suzette nickte und strich ihr Haar nach hinten. Katharine spürte die Zwillingsgabel aus Stolz und Eifersucht. Stolz, weil sie so einen selbstbewussten, gut aussehenden Menschen in die Welt gesetzt hatte, und die instinktive, urtümliche Abwehr gegen ein anderes Weibchen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Ein jüngeres noch dazu.
» Dein Bruder ist krank.«
Suzette gähnte und goss sich Tee ein. » Das überrascht mich nicht.«
War das ein Köder? Erwartete Suzette, dass Katharine nun fragte: Wie meinst du das? Warum bist du nicht überrascht? Was weißt du?
Doch zu fragen, hieße Dummheit einräumen, und damit wollte sie nichts zu tun haben.
Sie schob ihre Tasse zu Suzette, und ihre Tochter goss ihr Tee nach. » Danke«, sagte Katharine.
Eine Weile saßen sie stumm da. Es war Suzette, die das Schweigen brach.
» Erinnerst du dich an die Näherin unten an der Hauptstraße, Mum?«
» Wie bitte?«
» Die Näherin von Jay Jay’s. Mrs. Quill.«
Katharine spürte ihre Blase lose werden wie ein aufgehängtes Betttuch im Wind. Es erforderte ihre ganze Konzentration, alles zurückzuhalten. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.
» Quill? Eigentlich nicht. Quill … die alte Frau? Die ist seit Jahren tot. Musst du etwas ausbessern lassen?«
Suzette sah ihr in die Augen.
Sie weiß, dass ich lüge.
Doch immer noch wollte der eiserne Dorn in ihr nicht nachgeben, und sie erwiderte den Blick ihrer Tochter.
» Nein«, antwortete Suzette. » Schon gut.«
Die Bretterwände der Garage waren einmal weiß gewesen, aber jahrzehntelange Bearbeitung durch Sonne und Regen hatte sie in ein schmuddliges Grau verwandelt, das entmutigt abblätterte und winzige Kontinente aus gallegrünem Grundanstrich sehen ließ. Das einzige Fenster mit seinen vier staubigen Scheiben blickte düster auf den üppigen Garten hinaus. Saftige Monsterabüsche mit ihren breiten, perforierten Blättern kauerten an ihren Außenseiten, und Rangunschlinger schlängelten sich an den roh behauenen Balken empor. Die nicht benutzte Zufahrt, eine betonierte Zwillingsspur mit Rissen, aus denen kleine Lavaflüsse aus Moos quollen, lief auf eine hölzerne Klapptür zu, die schon durchhing und deren Oberteile sich in der Mitte trafen wie die Stirnen erschöpfter, klammernder Boxer. Nicholas steckte einen alten, nickelverkleideten Schlüssel in das Schloss auf der rechten Türhälfte. Die Tür gab ein trockenes Stöhnen von sich, als er sie aufzog.
Er ging hinein und machte die Tür hinter sich zu.
Drinnen war es dunkel und vertraut wie im Schlafzimmer einer Geliebten. Es gab kein elektrisches Licht, nur das milchige Tageslicht, das durch die dreckverschmierten Fenster fiel.
Etwas ratterte. Kein Wind rüttelte am Fenster, die Staubteilchen bewegten sich kaum. Er begriff, dass das Geräusch von seinen Zähnen kam, und biss sie fest zusammen, um das Klappern zu beenden.
Er atmete ein. Es roch nach Maschinenöl, nach Erde, so fein und trocken wie Wüstensand, nach Trockenfäule … und unter all dem lag, schwach wie ein Flüstern, das ekelhafte Aroma von Rum. Denn hier war der Ort, wo er trank, dachte Nicholas. Ihre Mutter hatte die Flaschen weggeräumt, nachdem sie ihren Mann hinausgeworfen hatte, aber der Geruch des Fusels hielt sich wie ein langsam wachsender Krebs. Nicholas ging zur Werkbank und zog die Schublade auf. Es hätte ihn nicht überrascht, ein halbes Dutzend der Zweihundertmilliliterflaschen darin zu finden, die sein Vater bevorzugte – aber die Schublade enthielt nichts außer Staub und Küchenschabenpanzer. Er schloss sie wieder.
Es war Jahrzehnte her, seit er zuletzt in diesem Raum gestanden hatte; doch der Anblick und der Geruch waren noch der gleiche. Zeit bedeutete nichts. Der Gedanke sank wie eine langsame Klinge in seine Eingeweide. All die Jahre, die sich dazwischengeschoben hatten, waren wertlos. Zwanzig Jahre Herzschläge und Reisen, Gespräche, Arbeit und Schlaf, Wünsche und Lachen waren Staub. Cate hatte gelebt und war gestorben und existierte jetzt nur noch in einer grausamen
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