Der Sog - Thriller

schuldbewusste Erleichterung. Er nickte. » Und ich glaube, ich habe keine Fragen.«
    Sie gestikulierte in Richtung Flur. Er sah ihre Finger vibrieren. Sie hielt sich mit reiner Willenskraft aufrecht. Ehemann begeht Selbstmord. Von heute auf morgen in das Joch der Fürsorge für eine senile Schwiegermutter gebeugt. Niemand, der half. Sie führte ihn in Richtung Eingang.
    » Ich habe eine Frage«, sagte sie.
    » Ja?«
    » Haben Sie ihn erschossen?«
    Sie hob den Kopf und musterte ihn mit diesen unergründlichen grauen Augen.
    » Nein«, antwortete er.
    Sie schürzte die Lippen und ging weiter.
    Sie kamen an Gavins Zimmer vorbei. Nicholas warf erneut einen Blick in den halbvollen Karton, der dort stand. Und jetzt begriff er, was ihm vorhin ins Auge gesprungen war: Die Waffenzeitschriften waren grob zusammengerollt und in eine Plastiktüte gesteckt worden. Die Tüte trug den Aufdruck Plough & Vine Health Foods. Rowenas Laden. Mrs. Quills altes Geschäft.
    » Kaufen Sie dort ein?«, fragte er und nickte in Richtung der Tüte.
    Laine blieb stehen und sah nach, worauf Nicholas blickte.
    » Nein. Gavin hatte Geschmack an getrockneten Kürbiskernen gefunden. Wegen des Zinks, sagte er.«
    Sie öffnete die Haustür.
    » Gute Nacht, Mr. Close.«
    Ehe er etwas erwidern konnte, hatte sie die Tür geschlossen.
    Nicholas legte das Telefonbuch auf den Kaffeetisch. Das Deckblatt war zerrissen und von den Vormietern über und über bekritzelt worden: ein Rosetta-Stein mit Cartoon-Titten und spritzenden Phalli.
    Auf dem Heimweg vom Haus der Boyes war ihm die Plastiktüte aus Rowenas Gesundheitskostladen nicht aus dem Kopf gegangen. Gavin hatte Geschmack an getrockneten Kürbiskernen gefunden. Wegen des Zinks, hatte Laine gesagt.
    Er hatte in Quills altem Laden eingekauft. Das Zeichen an ihrer Tür, auf dem Gewehr, dem Vogel. Er hat den Vogel berührt. Aber eigentlich warst du gemeint.
    Das waren keine Zufälle. Er wusste es. Die Verbindungen wurden zu deutlich.
    Er blätterte rasch das Teilnehmerverzeichnis unter G durch. Er hatte eine Ahnung.
    Ich habe Recht, dachte er. Ich weiß, dass ich Recht habe.
    Sein Zeigefinger fuhr an den Vornamen entlang. Gull, Gunston, Gurber, Guyatt. Es gab ein Dutzend Guyatts.
    Guyatt, A., Guyatt, A. & F., Guyatt, E., Linning St., Toorbul. Guyatt, E., Paschendale CT., Mt Pleasant.
    Dann fand er es, er hatte es gewusst. Guyatt, E., Myrtle Street 93, Tallong.
    Nicholas lehnte sich zurück.
    Elliot Guyatt, der unscheinbare Gebäudereiniger, der den Mord an Dylan Thomas gestanden hatte und nur wenige Tage später im Gefängnis an einem Schlaganfall gestorben war, hatte in derselben Straße gewohnt, in der sich Plough & Vine Health Foods befand.
    Rowenas Laden. Sedgelys Laden. Quills Laden.
    Gavin Boye, Überbringer einer kryptischen Nachricht mit einem selbstzerstörerischen Ende, hatte bei Plough & Vine Health Food eingekauft. Nicholas war überzeugt, dass Winston Teale, der riesige Mann mit der leisen Stimme, der Tristram und ihn in den Wald gejagt hatte, das ausgefranste Futter seiner Arbeitsanzüge bei Mrs. Quill reparieren ließ.
    Er griff in seinen Beutel und zog Gavins sich rapide leerende Zigarettenschachtel heraus. Dann fiel ihm ein, dass er kein Feuerzeug mehr hatte. Er schaltete eine elektrische Herdplatte ein und wartete, bis sie glühte. Lächerlich. Rowena war jung; Quill und Bretherton waren alt. Rowena war unbedrohlich und unschuldig; Quill und Bretherton hatten aus denselben hinterlistigen Augen aus dem Laden beziehungsweise der Fotografie gestarrt. Rowena war hübsch und ohne jede perfide Ausstrahlung. Quill/Bretherton/Sedgely waren bösartig.
    Und doch. Und doch …
    Jemand rumpelte laut gegen die Wohnungstür, und Nicholas fuhr zusammen.
    » Nicholas!!«, hörte er von der anderen Seite.
    » Suzette?«
    » Mach auf!«, schrie sie.
    Nicholas wurde flau im Magen – etwas Schlimmes war passiert. Er rannte zur Tür, löste den Riegel und riss sie auf. Suzette sank ihm entgegen. Ihr Gesicht war blass und ihre Augen nass. Sie war der Hysterie nahe.
    » Großer Gott, Suze, was …?«
    » Mum und ich waren gerade mit dem Abendessen fertig, da hörte ich etwas an der Haustür kratzen«, flüsterte sie. » Ich habe aufgemacht … ich Dummkopf … und ein weißer Hund hat mich gebissen.«
    Suzette taumelte zur Toilette, riss den Deckel auf und übergab sich. Ein scharfer Salzgeruch erfüllte die Luft.
    Nicholas nahm plötzlich alles wie in Zeitlupe wahr. » Wir müssen dich zu einem Arzt bringen«,