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Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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beibringen. Das ist nicht wie im Fernsehen, wo der Geisterseher mit dem goldenen Herzen die Leiden der Verstorbenen heilt und sie auf ihren Weg schickt. Nein, das hier ist quälende Ohnmacht. Das ist wie direkt zum Ende des Buchs zu springen und festzustellen, dass das letzte Kapitel herausgerissen wurde und nicht mehr zu finden ist. Grausam.
    Warum war er bei dem Motorradunfall nicht gestorben?
    Warum war Cate stattdessen gestorben?
    Warum hatte ihn Gavin nicht erschossen?
    Nicholas blieb stehen. Er war an der Ecke der Lambeth Street. Wenn er in sie einbog, wäre er in zwei Minuten bei seiner Mutter und Suzette. Aber er spürte, dass dort keine Antworten auf ihn warteten.
    Er ging weiter.
    Noch ein Block, und er hatte die Ecke des Airlie Crescent erreicht.
    Er überlegte nicht und ließ seine Füße die Richtung bestimmen – so wie er früher seine Hände einfach das Lenkrad seines Lieferwagens steuern ließ, wenn er auf der Jagd nach Nippes durch die schmalen Straßen eines englischen Dorfs gerollt war. Er ging einen kaum beleuchteten Fußweg entlang, den er seit zwei Jahrzehnten nicht gegangen war und hielt vor dem Haus Nummer 7.
    Dem Haus der Boyes.
    Es beobachtete ihn aus einem Nest hoher Lorbeerbäume heraus, die ihre Missbilligung über seine Ankunft zischten. Auch wenn das Haus für seine Erwachsenenaugen kleiner war, als er es in Erinnerung hatte, war es immer noch riesig – ein drohend aufragender Kolonialbau mit tiefen, von filigranem Schmiedeeisen verzierten Veranden, die altersgrau geworden waren und wie Spinnweben zwischen ihren Pfosten hingen. Die Hecken wucherten, und Sträucher krochen aus ihnen, um sich der Rasenflächen zu bemächtigen. Im Haus brannten matte Lichter, ein dumpf brütender Halloween-Kürbis.
    Nicholas betrat den Garten und stieg die breite Holztreppe hinauf, bis er vor der Gittertür stand. Er läutete.
    Hier auf diesem Treppenabsatz hatten Tristram und er einander zum Springen aufgefordert, Kommandos aus einer Douglas C-47. Und Nicholas, das musste man ihm lassen, war gesprungen, wenn auch bleich und voller Angst. Tristram war mit einem lauten Jubelschrei gesprungen. Tristram war der Tapfere von ihnen gewesen.
    Die dunkle, von Lack glänzende Haustür ging einen Spalt auf, und Mrs. Boye spähte heraus. Ihr weißes Haar ergoss sich wie die Perücke eines Richters auf die Schultern ihres Hauskleids – sie hätte, so wie sie war, aus einer Shakespeare’schen Wahnsinnsszene treten können. Sie kniff die Augen zusammen.
    » Ja?«
    » Ich bin es, Mrs. Boye, Nicholas. Nicholas Close.«
    Sie schürzte die Lippen. » Ach so, Nicholas. Ich sage Tristram, dass du da bist. Aber ich möchte nicht, dass ihr beide im Garten herumschreit! Mr. Boye hatte eine sehr anstrengende Woche.«
    Nicholas sah davon ab, ihr zu widersprechen.
    » Danke, Mrs. Boye.«
    » Tristram!«, rief sie. » Tristram Hamilton Boye? Gavin, weißt du, wo dein Bruder wieder steckt?«
    Die alte Frau ging zurück ins Haus und schloss die Tür hinter sich. Nicholas stand erneut allein auf der Treppe. Warum bin ich hier? Gehe meiner Mutter aus dem Weg? Meiner Schwester? Meide den Schlaf? Eine Minute verging, und niemand kam an die Tür zurück. Nicholas gab es auf und war halb die Treppe unten, als die Tür wieder aufging.
    » Hallo?« Die Stimme einer jüngeren Frau. Er drehte sich um.
    Laine Boyes Haar war tropfnass, und sie hielt sich mit einer Hand den Bademantel zu.
    » Ich bin es, Nicholas Close, Mrs. Boye.«
    » Das sehe ich«, sagte Laine. Ihr Gesicht lag im Schatten. » Kann ich Ihnen helfen?«
    Er stieg langsam die Treppe wieder hinauf. » Ja. Ich habe gerade einen Spaziergang gemacht, und zufällig …«
    Er sah, wie sie ihn musterte. Sie war barfuss, klatschnass, noch dünner, als er sie zuletzt gesehen hatte. Sie streckte das Kinn vor und hielt den Kopf schief.
    » Entschuldigen Sie, dass ich unangemeldet komme, Mrs. Boye, aber …«
    Er spürte, wie sich seine Hand um etwas in der Hosentasche schloss. Er zog es heraus. Es war klein und silbern.
    » Ich habe Gavins Feuerzeug gefunden. Zu Hause. Ich dachte …«
    Er hielt das Feuerzeug in die Höhe.
    Laine trat einen halben Schritt zurück, als würde der Anblick des Feuerzeugs sie verletzen. Wieder fiel Nicholas die Farbe ihrer Augen auf. Ein Muschelgrau; eine zweideutige Farbe, die Zufriedenheit oder Zorn, Heiterkeit oder Melancholie sein konnte.
    » Ich dachte, vielleicht könnten wir uns ein wenig unterhalten«, sagte er. » Über Gavin.«
    Sie sah ihn einen

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